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    10.02.2021

    INTERVIEW: "Die Goldmedaille hab ich verborgt"

    Thüringer Allgemeine/Marco Alles: Vor 20 Jahren ging in Slowenien auf der Pokljuka-Hochebene der Stern von Kati Wilhelm auf – nun steigt dort wieder eine Biathlon-WM.

    Beim Blick zurück schüttelt Kati Wilhelm ungläubig den Kopf: „Die Zeit rast viel schneller als während meiner aktiven Karriere. Gefühlt war das doch erst vorgestern“, sagt die einstige Weltklasse-Biathletin zu ihrem ersten großen Triumph. Auf der Pokljuka hatte sie als Debütantin vor 20 Jahren völlig überraschend ihren ersten WM-Titel geholt. Ab diesen Mittwoch werden auf der alpinen Hochebene im Nordwesten Sloweniens wieder die Weltmeister gekürt.

    Frau Wilhelm, welche Erinnerungen sind in diesen Tagen bei Ihnen geweckt worden?
    Vor allem ist mir erst einmal bewusst geworden, dass diese WM schon 20 Jahre her ist. Wahnsinn! Und den ersten Titel vergisst man natürlich nicht. Ich musste als Neuling in die damals noch ungeliebte erste Startgruppe, ging mit der 3 ins Sprintrennen und kam mit einem Fehler durch. Dann hieß es: lange warten.

    Wann wurde Ihnen klar, dass es gleich im ersten WM-Rennen zum großen Coup reichen würde?
    Als plötzlich Frank-Peter Roetsch auftauchte und mir gratulierte. Im ersten Moment hatte ich ihn gar nicht erkannt, obwohl ich als Jugendliche sogar ein Plakat von ihm in meinem Zimmer hängen hatte. Das hat mich verdammt stolz gemacht. Danach ging alles sehr schnell. Die Siegerehrung fand noch im Stadion statt – vor kaum Zuschauern. Aber das „Glück“ hatte ich bei meinen Erfolgen später ja öfters.

    Trotzdem hat Ihre erste von acht Goldmedaillen bestimmt einen Ehrenplatz bekommen?
    Natürlich. Doch in Pokljuka habe ich sie erst einmal verborgt. Die Schwedin Magdalena Forsberg hatte das Einzel gewonnen und sollte zum offiziellen Fototermin. Weil sie ihre Medaille aber erst am Abend überreicht bekam, habe ich ihr schnell meine für das Shooting geliehen. Darüber müssen wir heute noch schmunzeln.

    Ein zweites Gold verpassten Sie, weil Sie im Staffelrennen zwei Strafrunden drehen mussten. Trübt das die positiven Erinnerungen?
    Nein, eigentlich nicht. Wir waren uns hinterher alle einig, dass wir Silber gewonnen und nicht Gold verloren hatten. Einerseits war ich in meinem zweiten Jahr nach dem Wechsel vom Langlauf zum Biathlon im Schießen noch längst nicht stabil. Andererseits war es auch der erste Einsatz als Schlussläuferin. Eine Position, die niemand gern laufen wollte – und die eben nicht so einfach ist.

    Welche Eigenschaften sind in dieser Rolle gefragt?
    Man muss das Stehendschießen beherrschen, weil es oft am Ende um die Entscheidung geht. Man braucht Nervenstärke und taktisches Verständnis. Und vor allem: Man muss die Kritik abkönnen, wenn es mal schief geht. Ich habe im Laufe der Jahre die Position aber als reizvolle Herausforderung angesehen, Verantwortung zu übernehmen und zu versuchen, dieser auch gerecht zu werden.

    Hat Ihnen die Strecke auf der Pokljuka besonders gelegen?
    Wenn man an einem Ort einmal einen großen Erfolg gefeiert hat, kehrt man immer mit einem guten Gefühl dorthin zurück. Ich bin gern dort gelaufen. Die Strecke gehört mit zu den anspruchsvollsten im Weltcup. Sie ist zwar nicht so extrem wie in Oberhof, hat es durch die charakteristischen Kamelbuckel und den langen Anstieg aber ziemlich in sich.

    Ein Vorteil für die starken Läufer?
    Mittlerweile sind die besten Läufer ja auch gute Schützen. Zu meiner Zeit gab es noch mehr Spezialisten für die Teildisziplinen. Da war die eine oder andere Strafrunde noch eher aufzuholen. Das wird heutzutage immer schwieriger. Was auch an den immer schnelleren Schießzeiten liegt.

    Ist dort die rasanteste Entwicklung erfolgt?
    Wenn ich sehe, wie lange ich damals bis zu meinem ersten Liegend-Schuss gebraucht habe, ist das schon enorm. Doch man versucht als Trainer und Sportler ja immer, irgendwo Zeit herauszuholen. Und das ist beim Schießen einfacher als beim Laufen, weil das schnellere Schießen ja nicht unbedingt anstrengender ist. Dafür gilt es aber, eingefahrene Muster zu durchbrechen und über eigene Grenzen zu gehen.

    Die Norweger sind mittlerweile bei den Frauen und den Männern das Maß aller Dinge. Müssen wir eine langweilige WM befürchten?
    Ich denke schon, dass es auf dem Podium ein bisschen bunter zugehen wird als im Weltcup. Die Russen sind zuletzt aufgekommen; die Franzosen und Schweden sind ohnehin stark. Und mit Doro Wierer ist bei Höhepunkten immer zu rechnen.

    Was erwarten Sie vom deutschen Team?
    Denise Herrmann und Franziska Preuß sind auch für Medaillen gut. In Denise konnte ich mich in diesem Winter gut hineinversetzen. Als ich das Laufniveau nicht mehr bestimmt habe, war ich auch beim Schießen nicht mehr so locker. Und wer verkrampft ist, macht nun mal Fehler. Doch es scheint ja, dass sie die Kurve noch rechtzeitig gekriegt hat. Franzi hat sich indes als Persönlichkeit super entwickelt; ihr scheint die Führungsrolle in der Mannschaft gut zu tun und zusätzliches Selbstvertrauen zu bringen.

    Und die Männer?
    Bei ihnen fehlt es in dieser Saison ein bisschen am läuferischen Niveau. Da ist der Abstand zur Weltspitze oftmals zu groß. Aber Arnd Peiffer hat bei seinem Massenstart-Sieg in Hochfilzen gezeigt, dass es auch nach ganz vorn gehen kann. Erik Lesser war schon auf dem Podium, Benedikt Doll mehrmals knapp dran. Auf diese guten Rennen sollten sie schauen und Kraft daraus schöpfen. Schade nur, dass kein vielversprechender Junger nachkommt.

    Der Oberhofer Philipp Horn war es letztes Jahr.
    Aber auch er ist schon 26. Für ihn tut es mir leid, dass er die WM verpasst. Die Saison fing mit dem falsch-positiven Corona-Test für ihn schon schlecht an. Doch so ein „Kackjahr“ gehört dazu; das muss er abhaken. Besser dieses Jahr geht daneben als nächstes Jahr, wenn Olympia ansteht.

    Warum hat Biathlon-Deutschland ein Nachwuchsproblem?
    Beim Übergang vom Juniorenalter in den Erwachsenenbereich machen es viele Nationen einfach besser als wir. Das zeigen auch die schwachen Leistungen im IBU-Cup. Vielleicht liegt es an unserer Struktur. Denken wir eventuell zu kurzfristig, nur von Saison zu Saison? Bleibt dadurch der optimale Trainingsaufbau über mehrere Jahre auf der Strecke? Tun wir tatsächlich alles, um Talente zu finden und ausreichend zu fördern?

    In Norwegen wird nahezu jedes Kind, sobald es stehen kann, auf Skier gestellt. Dadurch ist die Auswahl zwangsläufig größer.
    Die Probleme allein an der fehlenden Breite festzumachen, ist mir zu einfach. Es geht auch um Begeisterung für den Wintersport, um Motivation und um finanzielle Hilfe. Gehen uns vielleicht Talente verloren, weil sich ihr Verein oder ihre Eltern die Ausrüstung nicht leisten können? Oder verlieren Kinder die Lust am Training, wenn andere mit besserem Skiwachs an ihnen vorbeisausen. In Norwegen gibt es beispielsweise im Nachwuchs ein einheitliches Wachs für alle.

    Haben Sie das Gefühl, dass die jungen Sportler selbst alles für den Erfolg tun?
    Da gibt es sicher welche. Aber viele scheinen einfach auch zu früh zufrieden zu sein. Da sind ein Manager, Instagram-Filmchen und ein Ausrüstervertrag mit ein paar tausend Euro wichtiger als alles andere. Klar ist es schön, Geld zu verdienen. Aber mir ging es mehr noch um die Anerkennung. Die Beste zu sein, das hat mich angetrieben – auch in den vielen Extraschichten am Schießstand. Ohne die wäre ich nicht so erfolgreich gewesen.

    Apropos Erfolg. Wer werden die Stars der WM?
    Bei den Männern tippe ich auf den Norweger Sturla Holm Laegreid; er ist in seiner ersten Saison so unglaublich konstant. Und bei den Frauen hoffe ich, natürlich ganz unparteiisch, auf Franzi Preuß.

    Zur Person:
    Die Thüringerin Kati Wilhelm (44) ist eine der erfolgreichsten deutschen Biathletinnen. Sie gewann sieben olympische Medaillen, darunter drei goldene, und wurde fünfmal Weltmeisterin. Heute arbeitet sie als TV-Expertin und betreibt in ihrer Heimatstadt Steinbach-Hallenberg ein Restaurant.