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    12.04.2017

    PRESSE: "Ein bisschen Mut zum Risiko gehört dazu"

    DONAUKURIER - Neuburg (DK) Es gibt Entscheidungen, die ein Leben verändern. Das weiß Kati Wilhelm nur zu gut. Die frühere Starbiathletin hat so manchen Entschluss in ihrem Leben gefasst - bereut hat sie kaum einen davon, wie die heute 40-Jährige bei einem Vortrag in Neuburg erzählt. Als Referentin erklärt sie den Mitarbeitern der Maschinenringe, welche Auswirkungen eine gute Entscheidung im richtigen Moment haben kann. Und dass der Bauch dabei eben doch die wichtigste Rolle spielt. "Der Kopf denkt zwar, aber am Ende entscheidet der Bauch", sagt die Thüringerin, deren Markenzeichen, das strahlend rote Haar, noch immer so stark leuchtet wie zu ihren aktiven Zeiten. Auch wenn sich mittlerweile das eine oder andere graue Haar dazwischen drängelt, wie die einstige Spitzenathletin ohne Scheu zugibt.

    Überhaupt zeigt die mehrfache Olympiasiegerin und Weltmeisterin bei ihrem Besuch in der Kreisstadt keine Scheu. Geduldig beantwortet sie die Fragen der Zuhörer, schreibt im Anschluss minutenlang Autogramme und absolviert schließlich eine kleine Fitnesseinheit mit der Belegschaft des Unternehmens. Deren körperliches Wohlbefinden steht im Mittelpunkt der Stippvisite, wie Gesundheitsmanagerin Claudia Miller erklärt. Dass es dabei auch mal etwas weh tun kann, merken die Büroangestellten bei den kräftezehrenden Einheiten schnell. "Man muss ein bisschen leidensfähig sein, wenn man Sport macht", sagt Wilhelm und erinnert sich auch an die eigenen Trainingseinheiten, die durchaus an die körperlichen Grenzen gingen. "Das hat zwar wehgetan, macht aber Spaß." Spontanes Gelächter im Publikum. "Leistungssportler sind eben etwas komisch."

    Ihr eigener Weg in diese Richtung beginnt früh - die erste wichtige Entscheidung ihres Lebens, die Kati Wilhelm im Grundschulalter trifft. "Ich wollte das Gefühl des Sieges öfter haben", erinnert sie sich an ihren ersten Erfolg - es sollten zahllose weitere folgen. Doch leicht war der Weg für die Sportsoldatin nicht. Das liegt nicht nur am enormen Trainingspensum, das Wilhelm mit einer ganz normalen Arbeitswoche vergleicht - mit dem Unterschied, dass auf drei Trainingstage ein freier Tag folgt. "Man steht dann schon mal sonntags vor einem Supermarkt und wundert sich, dass der geschlossen hat." Anders ausgedrückt: "Man verliert ein bisschen den Bezug zur Realität."

    Rein sportlich scheint die in der DDR aufgewachsene Wilhelm den Blick für den Erfolg nie aus den Augen verloren zu haben. Dafür sprechen vier weitere Entscheidungen, die durchaus auch schief hätten gehen können. "Ein bisschen Mut zum Risiko gehört dazu", sagt sie locker. Entscheidung Nummer eins betrifft ihre Sportart; denn eigentlich ist sie gar keine gelernte Biathletin. Stattdessen geht sie in ihren Anfangsjahren ohne Gewehr auf Medaillenjagd. Der Erfolg: mäßig. "Obwohl ich gar nicht so schlecht war." Ein 13. Platz im Einzel sowie Rang fünf mit der Staffel schlagen bei den Olympischen Spielen 1998 im japanischen Nagano zu Buche. Im Biathlon, das spürt die damals 23-Jährige, ist aber einfach mehr zu holen. Leicht verläuft der Wechsel allerdings nicht. "Als Anfängerin fängt man ganz unten an", erinnert sie sich. "Ich musste meine Skier selbst wachsen und mir auch noch das Wachs selbst kaufen." Doch der Erfolg gibt ihr schnell recht. 2001 wird sie zum ersten Mal Weltmeisterin, ein Jaahr später holt sie in Salt Lake City zweimal olympisches Gold und einmal Silber.

    Dann kommt der Einbruch, "es lief einfach schlechter". Der Grund? Es bleibt ein großes Fragezeichen, wie sie offen zugibt. Zwei weitere Entscheidungen folgen. Erst wechselt sie vom Stützpunkt im heimischen Oberhof nach Ruhpolding, dann engagiert sie ein eigenes Team für Technik, Service und Training. Die Entscheidungen Nummer zwei und drei - und unpopuläre noch dazu, das weiß auch Wilhelm. Doch ihr sei es dabei auch um das eigene Gefühl gegangen. "Wenn ich es aus eigener Kraft schaffe, den inneren Schweinehund zu besiegen, dann bin ich doch am Abend viel stolzer", erklärt sie diesen neuen Weg der Motivation. "Denn auch für eine über 30-Jährige muss Training Spaß machen." Ein Grinsen. Und Gelächter im Publikum.

    Riskant ist auch Wilhelms Entscheidung, 2006 bei den Spielen in Turin als Fahnenträgerin bei der Eröffnungsfeier die deutsche Mannschaft anzuführen. "Ein schöneres Erlebnis gibt es doch nicht", sagt sie heute und denkt sie sich auch damals - obwohl der zusätzliche Medienrummel gewaltig war und nur zwei Tage später der erste Wettkampf ansteht. Tatsächlich läuft es zunächst bescheiden. Bis zur Zehn-Kilometer-Verfolgung, ihr emotionalstes Gold, erzählt sie in Neuburg und zeigt den Zuhörern stolz die Medaille.

    Entscheidung Nummer vier folgt 2010: das Karriereende. Ein Entschluss, den sie bis heute nie bereut hat. "Ich habe mich so sehr auf Studium und Familie gefreut, dass es kein Zurück mehr gab." Die roten Haare hat sie trotzdem behalten. Sozusagen ein Relikt aus ihrer Zeit als Biathletin. Eine spontane Entscheidung, gibt sie zu. "Ich bin damals einfach in die Drogerie und hab' mir die Farbe gekauft." Typisch Bauchgefühl eben.

    Quelle: Donaukurier.de - Autor: Stefan Janda

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