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05.03.2016
INTERVIEW: Kati Wilhelm steht jetzt öfters hinterm Tresen
DIE WELT – Ein Jahrzehnt lang gehörte die Thüringerin zu den weltbesten Biathletinnen. So stark wie einst als Sportlerin meistert sie jetzt ihr neues Leben. Dabei begab sie sich auf ein völlig neues Terrain.
Ihre Haare sind natürlich wieder extravagant gestylt. Diesmal glänzt Kati Wilhelm, 39, als ARD-Expertin bei den Biathlon-Weltmeisterschaften in Oslo mit einer kupfrig-orange-roten Frisur, in der leichte Blaustiche eingefärbt wurden. Der Fernsehjob ist eine willkommene Abwechslung zum sonstigen Leben der dreimaligen Olympiasiegerin aus Thüringen, die ihre sportliche Karriere nach den Olympischen Winterspielen 2010 beendet hat.
Die Welt: Frau Wilhelm, Sie machen einen sehr glücklichen Eindruck.
Kati Wilhelm: Bin ich auch. Ich habe zwei süße Kinder, Jakob, er wird zwei, und Lotta, sie wird fünf. Dazu kommt der ARD-Job, dann bin ich für meine Sponsoren unterwegs, halte Vorträge über das Thema Entscheidungen, war deshalb erst unlängst in Prag und führe ein Lokal mit dem Namen "Heimatlon". Zu tun gibt es also genug, zumal der Papa, mein Lebenspartner (Andreas Emslander, d. Red.), als Cheftechniker der deutschen Biathleten den ganzen Winter unterwegs ist. Alles unter einen Hut zu bekommen ist schon recht sportlich.
Die Welt: Fällt es Ihnen leicht, Entscheidungen zu treffen?
Wilhelm: Ja. Das zieht sich durch meine ganze Karriere. Es ging schon damit los, als ich 1999 vom Langlauf zum Biathlon wechselte. Es folgte der Wechsel von Thüringen nach Ruhpolding und die Suche nach einem neuen Trainer. Um Erfolg zu haben, muss man unbequeme Wege und Risiko gehen, sonst wird es nichts. Oder in Turin bei den Winterspielen 2006. Die Chance, als Fahnenträger unsere Mannschaft bei der Eröffnung ins Stadion zu führen, wollte ich mir nicht nehmen lassen, auch wenn es wegen der Belastung ein großes Risiko war, im Wettkampf dann auch die Medaillen zu holen, die ich mir gewünscht und die alle von mir erwartet haben.
Die Welt: Damals gewannen Sie Ihr drittes Gold und zweimal Silber. Wie treffen Sie Ihre Entscheidungen?
Wilhelm: Mein Bauch sagt mir, was ich machen muss, damit ich mich nicht irgendwann ärgere, weil ich es nicht getan habe. Ich bin auch sehr konsequent in der Umsetzung. Wenn ich einmal Feuer gefangen habe, ist es schwierig, mich vom Vorhaben abzubringen. Beispielsweise hätte ich jetzt auch in Ruhe Mama sein können, aber ich mache dieses Lokal auf, was in einem so kleinen Ort wie Steinbach-Hallenberg kein Selbstläufer ist.
Die Welt: Was ist das Fazit Ihrer Vorträge?
Wilhelm: Niemals sollte man die Möglichkeit aus der Hand geben, eine Entscheidung selbst zu treffen. Dadurch hat man eher die Möglichkeit, sein Ziel zu erreichen. Wer nicht selber handelt, ist abhängig von anderen. Das ist nie von Vorteil.
Die Welt: Das besagen Ihre Erfahrungen?
Wilhelm: Genau. Man darf auch keine Angst vor Misserfolg haben, der gehört dazu. Man kann nicht immer alles richtig machen. Wichtig ist, dass man trotzdem an seinem Vorhaben festhält, dass man nicht infrage stellt, was man gemacht hat. Es gab ja einen Grund, warum ich das so oder so gemacht habe.
Die Welt: Wie läuft Ihr Lokal, dass Sie seit September 2014 gepachtet haben und rund 40 Gästen Platz bietet?
Wilhelm: Das erste Jahr war nicht einfach. Es ist sehr schwierig, sich einen verlässlichen Mitarbeiterstamm aufzubauen. Nach wie vor habe ich Tage, an denen ich denke, ich hätte es auch einfacher haben können. Doch ich brauche diese Herausforderung. Gut ist, dass das Lokal nur 200 Meter von unserem Wohnhaus entfernt liegt. Dadurch kann ich immer schnell eingreifen. Ich bin auch jemand, der gerne im Rampenlicht steht, das gebe ich zu. Das Lokal bietet auch die Möglichkeit, von den Menschen etwas zurückzubekommen. Es tut so gut, wenn die Gäste sagen, es war toll, es hat super geschmeckt, wir fühlen uns wohl hier, wir kommen wieder.
Die Welt: Was bietet Ihre Küche?
Wilhelm: Sie ist bodenständig und qualitativ hochwertig. Der Clou ist, dass wir einen italienischen Holzofen haben, der im Lokal steht, sodass die Leute sehen können, was und wie alles zubereitet wird. Ich habe alles so hergerichtet, wie ich es selbst gerne hätte, wenn ich irgendwo einkehre.
Die Welt: Stehen Sie selbst am Herd?
Wilhelm: Nein. Ich bin sicher keine schlechte Köchin, doch das Terrain überlasse ich lieber meinem Koch. Er ist wahnsinnig kreativ. Er soll sich entfalten, weil ich merke, dass sich das lohnt.
Die Welt: Und wie sieht es mit dem Kellnern aus?
Wilhelm: Klar, mache ich da mal mit. Im letzten Sommer, als ich einen Monat lang keinen Kellner für die Terrasse hatte, war ich die feste Größe im Service. Ich stehe auch häufig am Tresen und zapfe Bier.
Die Welt: Machte es Spaß?
Wilhelm: Sicher, es war aber auch echt anstrengend. Zumal im Hinterkopf immer der Gedanke rumspukte, woher bekommst du eine gute Servicekraft?
Die Welt: Was bewog Sie, in die Gastronomie zu gehen?
Wilhelm: Es war geistige Umnachtung (lacht). Das Lokal stand zur Ausschreibung. Daran habe ich mich beteiligt und bekam den Zuschlag. Nach den Winterspielen in Sotschi bekam ich dann mein zweites Kind und ließ zwischendurch noch das Lokal umbauen und komplett einrichten. Es ist mehr geworden, als ich eigentlich wollte. Doch so ist es bei mir, wenn ich es anpacke, dann richtig.
Die Welt: Wie würden Sie Ihren Übergang vom Spitzensport ins neue Leben abseits der Loipen und Schießstände beschreiben?
Wilhelm: Er fiel mir nicht schwer. Es kam ja nicht alles auf einmal. Außerdem habe ich mir den Zeitpunkt selber ausgesucht, wann ich aufhören wollte. Dadurch hatte ich auch einen Plan, was danach kommen soll. Ich müsste mich bloß wieder mal ein bisschen mehr bewegen. Durch das Lokal bin ich auch viel weniger an der frischen Luft, das vermisse ich sehr. Ansonsten ist alles gut.