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    17.07.2023

    INTERVIEW: „Schlaraffenland Oberhof“

    Im ersten Leben Weltklasse-Biathletin und Olympiasiegerin, danach Restaurant-Besitzerin und TV-Expertin. Nun kümmert sich Kati Wilhelm als Trainerin um den Ski-Nachwuchs und engagiert sich stark als Funktionärin. Außerdem hält sie in Firmen Vorträge darüber, was Unternehmen von Leistungssportlern lernen können. Ihre Kernbotschaft dabei: „Nur keine Angst vor Veränderungen, und sei mutiger bei Entscheidungen. Nicht einfach abwarten, bis andere oder die Umstände das übernehmen, sondern werde selbst aktiv.“ Was diese Haltung für ihren eigenen neuen beruflichen Lebensabschnitt bedeutet und warum das „Schlaraffenland“ Oberhof vielleicht ein wenig zu gemütlich für den Thüringer Sportnachwuchs ist, darüber spricht Kati Wilhelm im Interview mit „Endlich Wochenende“.

    Frau Wilhelm, zum Jahreswechsel haben Sie Ihr Restaurant „Heimatlon“ schließen müssen, und als ARD-Biathlon-Expertin sind Sie auch nicht mehr aktiv: Was sind ihre neuen Aufgaben?
    Bereits seit Ende meiner Biathlonkarriere berate ich Firmen in Form von Vorträgen oder Seminaren. Dabei geht es darum wie Unternehmen von uns Leistungssportlern profitieren können. Klar gibt es am Anfang schon fragende Blicke, wie: was will uns jetzt eine Biathletin erzählen. Aber es gibt zahlreiche Parallelen zwischen Wirtschaft und Leistungssport. Nach über 25 Jahren kenne ich mich mit Erfolg, aber auch mit Niederlagen aus, musste mich in meiner Karriere oft neu erfinden und neue Wege suchen. Dabei sage ich den Leuten nicht, wie sie ihren Job machen müssen – nein. Ich gebe Denkanstöße und ermutige zu mehr Eigeninitiative in der Arbeitswelt. Mein Kernbotschaft ist: Nur keine Angst vor Veränderungen, und sei mutiger bei Entscheidungen. Nicht einfach abwarten, bis andere oder die Umstände das übernehmen, sondern werde selbst aktiv.
    Außerdem begleite ich als Botschafterin verschiedene Initiativen die mir am Herzen liegen. So unterstütze ich unter anderem die bevorstehenden INVICTUS GAMES 2023 in Düsseldorf – ein paralympischer Sportwettkampf mit über 500 Teilnehmern aus 21 Ländern für ehemalige Soldatinnen und Soldaten, die im Krieg schwere Verletzungen und Traumata erlitten haben.

    Wie oft halten Sie solche Vorträge?
    Das ist unterschiedlich und richtet sich nach meinem Terminkalender der mit den verschiedenen Engagements nach wie vor gut gefüllt ist. Dabei habe ich verstärkt das Gefühl, dass ich als Frau mit meiner Expertise gern angefragt werde. Aktuell unterstütze ich mit meinen Vorträgen den Deutschen Kitaleitungskongress. Das sind zehn Veranstaltungen seit März, quer über Deutschland verteilt.

    Statt Spätdienst im Heimatlon oder der TV-Analyse von Schießergebnissen sind Sie als Trainerin in Ihrem Heimatort Steinbach-Hallenberg aktiv und zudem Vize-Präsidentin des Thüringer Skiverbandes. Wie füllen Sie diese ehrenamtlichen Tätigkeiten aus?
    Ich bin ja nicht nur Trainerin bei uns im Skiclub Steinbach-Hallenberg, sondern auch im Vorstand aktiv. Dafür investiere ich viel Zeit. Außerdem bin ich in der Trainingsgruppe meiner Kinder im Langlauf eingebunden und Übungsleiterin bei den Nordischen Kombinierern. Mir macht die Arbeit mit den Kindern viel Spaß. Für noch mehr Hintergrundwissen mache ich aktuell die Trainer-C-Lizenz/Leistungssport.

    Viel alt sind die Kids?
    Zwischen 7 und 15 Jahren. Das ist jedes Mal aufs Neue eine Herausforderung. Ein Kasper kann so eine Trainingseinheit schon mal komplett auf den Kopf stellen. Ich biete gern abwechslungsreiches und spielerisches Training an. Zu Wettkämpfen, die es natürlich auch im Sommer an den Wochenenden regelmäßig gibt, bin ich mit bis zu 30 Kindern unterwegs. Zum Glück immer mit  Unterstützung vieler engagierter Eltern.

    Und wie ist der Ruf von Kati Wilhelm als Trainerin?
    Das müssten Sie die Eltern fragen. Gut, hoffe ich. Von den Kindern, aber auch allgemein, wird mein Engagement im Sport mehr wertgeschätzt als zuvor in der Gastronomin für die Stadt und für den Tourismus. Kinder sind sehr dankbar, sie geben direkt etwas zurück. Kinder können ihre Persönlichkeit entwickeln und gemeinsam Spaß haben, selbst wenn sie nicht immer gewinnen. Sie kommen immer wieder zum Training. Ich durfte als Kind sehr freudbetont trainieren. Das war sicher auch ein Grund, warum ich so lange aktiv war.

    Kinder für den Sport zu begeistern, ist die eine, gute Sache. Doch Sie als Olympiasiegerin blicken natürlich weiter, haben den leistungssportlichen Aspekt im Auge. Wo sind aktuell die Schwierigkeiten, dass es in Oberhof immer weniger Weltklasse-Athleten gibt? Haben wir keine Talente mehr? Fehlt es an Geld, fehlt es an einem klaren Bekenntnis der Politik zum Spitzensport? Warum sollen wir weniger Talente haben als andere Nationen? Das kann ich mir nicht vorstellen. Auch fehlt es meiner Meinung nach nicht am Geld, sondern erst einmal an der Basis. Es gibt mittlerweile einfach weniger Kinder die in Vereinen leistungssportorientiert trainieren.
    Nehmen wir Oberhof als Beispiel. Der Bundesstützpunkt Oberhof bietet Top-Bedingungen für alle hier verankerten Wintersport-Disziplinen, möglicherweise sogar zu gute Bedingungen. Vielleicht verleitet das Schlaraffenland Oberhof, etwas provokativ formuliert im Vergleich zu anderen Stützpunkten, zu Bequemlichkeit, zu Sorglosigkeit bei den Sportlern.
    Für die spätere Weltspitze sind aus meiner Sicht Eigenschaften wie Selbstverantwortung und Eigeninitiative aber wichtig und gilt es deshalb zu entwickeln. Ich kann nur aus eigener Erfahrung sagen, dass mich mein Schritt seinerzeit zum Training nach Ruhpolding zu gehen, neu motiviert hat. Dort hatte ich nicht das All-Inclusive-Paket wie in Oberhof. Dort war mehr Eigenverantwortung gefragt.

    Würde eine Olympiabewerbung und die mögliche Durchführung der Spiele vielleicht einen neuen Impuls auslösen im oft mit sich hadernden Sport-Deutschland?
    Natürlich wären Olympische Spiele in Deutschland ein großer Gewinn, egal ob Winter- oder Sommerspiele. Ich finde das Konzept, das Mailand/Cortina für 2026 verfolgt, sehr gut. Dort wird auf vorhandene Sportstätten und bewährte Strukturen gesetzt wie im Biathlon mit Antholz. Das ergibt Sinn, das ist nachhaltig. Die European Championships im vergangenen Sommer oder zuletzt die Special Olympics World Games in Berlin haben gezeigt, wie sportbegeistert Deutschland sein kann.

    Plädieren Sie für Winterspiele oder Sommerspiele in Deutschland?
    Als ehemalige Biathletin favorisiere ich natürlich Winterspiele. Aber hier muss man genau abwägen, was mehr Sinn macht, wo die Chancen größer sind. So eine Bewerbung kostet schließlich viel Geld. Keine Frage: Mit Olympischen Spielen in Deutschland würde sich die Sportinfrastruktur sprunghaft verbessern und zugleich das Bewusstsein enorm gestärkt.

    Zurück an die Basis, zurück nach Steinbach-Hallenberg: Was beobachten Sie im sportlichen Umgang mit den Kindern und Jugendlichen?
    Die Kinder sind einfach nicht mehr so fit wie früher, das zeigen ja auch aktuelle Statistiken. 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen bewegen sich nicht ausreichend und finden damit auch weniger den Weg in leistungssporttreibende Vereine
    Zuletzt beim Sportfest in der Grundschule, sind z.B. im Weitsprung nur zwei Kinder vier Meter weit gesprungen. Das sind in der 4. Klasse meiner Meinung nach nicht viele.

    Wie kann man gegensteuern?
    Wir in Steinbach-Hallenberg beziehungsweise im Haselgrund sind auf einem guten Weg. Wir haben einen Bewegungscoach, finanziert über den Landessportbund. Das Programm startet bereits in den Kindergärten und wird sehr gut angenommen. In der Grundschule bietet der Verein zum Beispiel eine eigene Sport-AG an. Dabei ist es wichtig vereinsübergreifend zusammenzuarbeiten und die Kräfte zu bündeln. Das leben wir bereits vor:  Bei uns im Haselgrund trainieren die Kinder aus verschiedenen Vereinen zusammen, ob aus Steinbach-Hallenberg, Oberschönau und Unterschönau, aus Rotterode, sogar aus Asbach. Das ist die eine Challenge.
    Die Zweite: Es ist auch wichtig sportartübergreifend zu trainieren. Im Grundlagentraining gibt es im Langlauf, Biathlon und der Nordischen Kombination viele Synergien die es auch hier zu nuten gilt.

    Viele Funktionäre allerdings sind diesbezüglich noch im Lernprozess. Hier herrscht meist noch Kirchturmdenken. Das Ziel an der Basis sollte doch sein: Kinder in erster Linie für den Sport zu begeistern, Talente zu erkennen und sie so auszubilden, dass sie später eine leistungssportliche Karriere einschlagen können.

    Und: Werden Sie gehört mit Ihren Argumenten und als Vizepräsidentin im Thüringer Skiverband?
    Ja, ich werde gehört. Als Funktionärin versuche ich neue Impulse zu setzen und Bestehendes zu hinterfragen. Dabei hilft mir meine persönliche Erfahrung in allen Bereichen: Als ehemalige Leistungssportlerin, Trainerin, Funktionärin und nicht zuletzt als Mama.
    Das wird sicher ein langer Prozess. Wir wollen den Vereinen auch nichts überstülpen, sondern diesen Weg gemeinsam gehen.

    ZUR PERSON
    Kati Wilhelm (46 Jahre) lebt seit Geburt in Steinbach-Hallenberg in Thüringen. Sie begann als Langläuferin, wechselte 1999 zum Biathlon und verzeichnete dort sofort großartige Erfolge. Gleich in ihrem ersten WM-Rennen gewann sie 2001 Gold im Sprint. weitere vier WM-Titel und drei Olympiasiege reihten sich an. Bei den Olympischen Winterspielen 2006 in Turin war sie Fahnenträgerin der deutschen Delegation bei der Eröffnungsfeier. 2010 beendete sie ihre Karriere. Danach arbeite­te sie als TV-Expertin. Von 2014 bis 2022 betrieb sie das Restaurant Heimation in ihrer Heimatstadt. Ihr Lebensgefährte Andreas Emslander ist Cheftechniker des Deutschen Skiverbandes. Kati Wilhelm ist zweifache Mutter.


    DSV-KatiCamp powered by HYLO
    Aus einer Idee ist ein Herzensprojekt ge­worden. Bereits zum zehnten Mal lud Kati Wilhelm vor wenigen Tagen die besten deutschen Skijäger im Alter von 15 Jahren zum KatiCamp nach Oberhof ein. Dort gaben die dreifache Olympiasiegerin und andere Top-Trainer an 24 Campteilnehmer ihr Fachwissen weiter. Ein gemeinsames Training in der Skihalle, interessante Vor­träge, der Besuch im DSV-Truck, offene Gespräche und der obligatorische Ab­schlusswettkampf standen bei dem dreitä­gigen Trainingscamp auf dem Programm. Kati Wilhelms Credo dabei: ,,Ich möchte die jungen Talente auf dem Weg nach oben bestmöglich unterstützen, denn aus eige­ner Erfahrung weiß ich, dass der Schritt vom Hochleistungssport im Jugendbe­reich zu einem vergleichbaren Niveau bei den Erwachsenen ein sehr großer ist. Moti­vation, Ehrgeiz und Durchhaltevermögen sind wesentliche Bestandteile für einen erfolgreichen Übergang."

    Das Gespräch führte:
    Thomas Sprafke; Ressortleiter Sport – Freies Wort / Südthüringer Zeitung / Meininger Tageblatt
    Quelle online: insuedthueringen.de