08.02.2023

Interview: Kati Wilhelm vor WM-Auftakt in Oberhof im Exklusiv-Interview

Als dreimalige Olympiasiegerin und fünfmalige Weltmeisterin weiß Kati Wilhelm, worauf es bei einem Großereignis auskommt. Vor der Biathlon-Weltmeisterschaft in Oberhof spricht die 46-Jährige im Interview mit Eurosport über die Sonderrolle des WM-Gastgebers, deutsche Medaillenchancen und die mögliche Teilnahme russischer und belarussischer Athletinnen und Athleten bei Olympia 2024.

Vom 8. bis 19. Februar stehen in Oberhof die Biathlon-Weltmeisterschaften 2023 auf dem Programm. Olympiasiegerin und Weltmeisterin Kati Wilhelm hat eine besondere Verbindung zum Wintersportort in Thüringen, auch wenn sie mit relativ schlechten sportlichen Erinnerungen verknüpft sind. 2004 kam Wilhelm bei der Heim-WM in Oberhof in den Einzeldisziplinen nicht über einen 13. Platz hinaus. "Aus sportlicher Sicht ist sie mir in ganz schlechter Erinnerung", erinnert sich die Gesamtweltcupsiegerin von 2005/06 im exklusiven Interview mit Eurosport zurück. Neunzehn Jahre später kehrt die Biathlon-Elite wieder nach Oberhof zurück. Die deutschen Fans machen sich dabei laut Wilhelm berechtigte Hoffnungen.

Das Interview führte Andreas Morbach

Frau Wilhelm, wie haben Sie die letzte Biathlon-WM in Oberhof von 2004 in Erinnerung?
Kati Wilhelm:
Aus sportlicher Sicht ist sie mir in ganz schlechter Erinnerung. Wettertechnisch eigentlich auch: Vor der WM hatte es geschneit und zur Weltmeisterschaft hat es gefühlt nur noch geregnet. Das waren Bedingungen, mit denen ich als Athletin damals noch nicht so richtig klar kam. Dazu auch noch Sturm - es war also "perfektes" Wetter für mich. Positiv in Erinnerung geblieben ist mir, dass diese Weltmeisterschaft, was die Zuschauer und die Begeisterung anging, sicherlich die bis dahin größte war.

Und anschließend hat sich Oberhof ein bisschen auf seinem Ruhm ausgeruht?
Wilhelm:
Das möchte ich so nicht sagen, es lief eher unter dem Motto: "Ach, wir haben es immer hingekriegt, das wird schon irgendwie." Aber wir müssen über den Tellerrand hinausschauen und allen zeigen, dass Oberhof noch andere Facetten zu bieten hat als den Sport. Dabei sollten wir auch im Blick behalten, dass sich die Erde weiterdreht und das Credo "Das haben wir schon immer so gemacht" nicht mehr zählt. Das gibt es bei uns leider noch sehr oft.

Haben Sie das Gefühl, dass Oberhof wegen seiner exponierten Stellung mit den vielen verschiedenen Sportstätten im Umkreis und in Thüringen für Skepsis oder auch für Neid sorgt?
Wilhelm:
Ja, das führt schon auch zu Unmut. Weil dort viel Geld hinein gesteckt wird, andere Orte und Regionen natürlich auch hoffen, finanziell unterstützt zu werden. Bei Oberhof geht es auch um den Stellenwert, um Thüringen als Aushängeschild. Auf lange Sicht sollte man da eine gemeinsame Lösung finden, so dass alle davon profitieren. Wir müssen es schaffen, die Popularität, die Oberhof durch die Weltcups und die verschiedenen Sportveranstaltungen hat, auch in einen ganzjährig attraktiven Tourismus- und Breitensportort umzumünzen.

Die für Sie wenig erfolgreiche Biathlon-WM 2004 in Oberhof war auch der Punkt, an dem Sie abends in entspannter Situation entschieden haben, ab der darauffolgenden Saison in Ruhpolding zu leben und zu trainieren. Was genau war der Antrieb für diesen Wechsel?
Wilhelm:
Ich wusste, dass es anders werden muss, wenn ich besser werden will. Es war einfach Zeit für Veränderungen und neue Trainingsimpulse. Ich war damals schon viele Jahre in Oberhof. Alles war eingespielt: Ich hatte meine Trainingsgruppe, alles war immer top organisiert. Ich kannte jeden Fleck dort, bin jeden Tag zur selben Uhrzeit zum Training rausgegangen. Aber ich hatte Sehnsucht nach mehr Freiraum, mehr Entscheidungsmöglichkeiten - etwas Neuem.

Vor der WM 2004 waren Sie ja schon Weltmeisterin und Olympiasiegerin gewesen. Ihren ersten WM-Titel haben Sie 2001 gleich in Ihrem ersten Rennen als Biathletin bei einer Weltmeisterschaft gewonnen. Halten Sie es für möglich, dass einer Umsteigerin so etwas auch heute noch gelingen könnte?
Wilhelm:
Denise Herrmann-Wick hat auch in ihrem ersten kompletten Jahr im Weltcup gleich am ersten Wochenende einen Sprint gewonnen [am 1. Dezember 2017 in Östersund, d. Red.]. Da ist ein Weltcup auch nichts anderes als eine WM - oft sind sogar weniger Nationen am Start als im Weltcup. Deshalb: Wenn ein Umsteiger gut laufen kann und ein Talent zum Schießen hat - warum denn nicht?

Unter dem neuen Sportdirektor Felix Bitterling hat der DSV für die Titelkämpfe in Oberhof keine Medaillenvorgabe gemacht. Wie bewerten Sie das?
Wilhelm:
Ich glaube, Felix Bitterling hat schon recht hohe Anforderungen und seine Zielstellung sicherlich an die Mannschaft weitergegeben. Dass er es nicht in der Öffentlichkeit sagt, finde ich nicht schlimm. Innerhalb der Mannschaft hat er bestimmt eine Ansage gemacht. Ich glaube, er hat schon einen ganz guten Plan. Seine Entscheidung, ausländische Co-Trainer mit ins Boot zu holen, finde ich zum Beispiel richtig gut.

Im Männerbereich dominieren die Norweger in diesem Winter extrem, bei den Frauen scheint Denise Herrmann-Wick die einzige Medaillenkandidatin des DSV zu sein. Wie beurteilen Sie die Chancen des deutschen Teams in Oberhof?
Wilhelm:
Von den deutschen Männern standen in dieser Saison mit David Zobel, Roman Rees und Benedikt Doll schon drei auf dem Podium. Von daher müssen sie eigentlich nur das wiederholen, was sie schon gezeigt haben. Natürlich muss man auf einen Fehler des dritt- oder auch viertbesten Norwegers hoffen. Diese Chance dann zu nutzen, dabei stehen wir uns manchmal zu sehr selbst im Weg. Aufgrund der bisherigen Saisonleistungen könnte man doch auch sagen: Wir gehen raus und wollen vier Medaillen. Zwei bei den Frauen, zwei bei den Männern. Je eine Einzel- und eine Staffelmedaille. Und das ist für mich nun wirklich nicht unrealistisch.

Und wie beurteilen Sie die Zukunft des deutschen Biathlons mit Blick auf Olympia 2026?
Wilhelm:
Ich freue mich über viele neue Namen im Weltcupzirkus, die auch ganz gut gestartet sind. Bei den Frauen sieht der Ausblick auf 2026 daher gar nicht so schlecht aus. Vielleicht müssen wir hoffen, dass Denise Herrmann-Wick doch noch ein, zwei Jährchen weitermacht. Dann können die jungen Mädels hinter ihr noch ein bisschen wachsen. Bei den Männern sind die zuletzt Erfolgreichen zwar alle nicht mehr blutjung, aber auch hier sind beachtliche Entwicklungen möglich. Wie sich Roman Rees in diesem Jahr präsentiert hat, das macht doch Hoffnung. Mit 29 Jahren hat er ja noch Zeit und sollte hoffentlich nicht an ein Karriereende denken.

Die nächsten Sommerspiele finden bereits im kommenden Jahr statt. Das IOC hat vor kurzem angekündigt, die Teilnahme von Sportlerinnen und Sportlern aus Russland und Belarus in Paris 2024 prüfen zu wollen. Wie haben Sie diese Überlegungen seitens des IOC aufgenommen?
Wilhelm:
Ich finde es durchaus in Ordnung, dass man da noch mal drauf schaut.

Trotz des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, der ja weiterhin andauert?
Wilhelm:
Ja. Denn es sind nun mal nicht die Sportlerinnen und Sportler, die den Krieg führen. Außerdem finde ich, dass man Belarus da nicht mit Russland in einen Topf werfen kann. Das müsste man noch mal etwas differenzierter betrachten. Und nach wie vor gilt: Was hat es jetzt gebracht, dass wir die russischen Athleten suspendiert haben? Krieg ist nach wie vor. Wenn wir sie bei Olympia nicht starten lassen - ob das Herrn Putin interessiert, wage ich zu bezweifeln.

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