08.02.2018

OLYMPISCHE SPIELE: "Fünf Biathlon-Medaillen sind drin!"

Weltmeisterin, Olympiasiegerin, Gesamtweltcupsieg: Als Biathletin hat Kati Wilhelm alles erreicht. Als TV-Expertin ist sie weiter nah am Geschehen. Mit n-tv.de spricht sie über den Druck auf die Sportler, die Gefahr zu überpacen und sie verrät, weshalb die Fans zuversichtlich sein können.

n-tv.de: Frau Wilhelm, der deutsche Biathlon-Winter fällt bisher durchwachsen aus. Laura Dahlmeier, die in den vergangenen Jahren dominierende Sportlerin, war längere Zeit krank, auch Erik Lesser und Simon Schempp kämpften mit gesundheitlichen Problemen. Wie lautet Ihr persönliches Saison-Zwischenfazit?
Kati Wilhelm: Klar, es gibt bisher nicht die Masse an Siegen und Podestplätzen für deutsche Biathleten. Bei den Männern liegt das aber auch daran, dass in dieser Saison mit Johannes Thingnes Bö und Martin Fourcade zwei Sportler außerordentlich starke und konstante Leistungen abliefern und damit nahezu immer zwei Podestplätze von Anfang an weg sind. Dennoch: Man hat gesehen, zu was die deutschen Herren in der Lage sind, läuferisch lief es meistens. Das ist wichtig, auch für das Selbstvertrauen. Meistens hat nur eine Kleinigkeit gefehlt, ist die letzte Scheibe etwa nicht gefallen. Das ist ärgerlich, aber die Probleme am Schießstand lassen sich abstellen.

Und bei den Frauen?
Kati Wilhelm: 
Da muss man sagen, dass die Ergebnisse aus dem Vorjahr, vor allem von Laura Dahlmeier, herausragend gewesen sind. Die Anspruchshaltung war dadurch auch vielleicht ein bisschen zu hoch. Dazu kamen die eine oder andere Erkältung und die Tatsache, dass mit der Slowakin Anastasija Kuzmina jemand da ist, die im Läuferischen nun die Akzente setzt. Aber wenn Laura und auch eine Denise Hermann ihre Leistungen abrufen können, sind sie vorne mit dabei. Das haben die beiden in dieser Saison schon gezeigt. Von daher bin ich für die Olympischen Winterspiele zuversichtlich.

Waren die kleinen Nackenschläge für Dahlmeier vielleicht sogar positiv?
Kati Wilhelm: 
Sie haben ihr zumindest gezeigt, dass man sich jede Saison neu erarbeiten muss. Und: Oft geht man aus kleiner Niederlagen gestärkt wieder hervor.

Der Saisonhöhepunkt sind die Olympischen Spiele in Pyeongchang. Verändert sich dadurch etwas in der Vorbereitung?
Kati Wilhelm: 
Das hängt von jedem Athleten selbst ab, wo die Ziele liegen. Klar ist: Olympische Winterspiele sind nicht wie Weltmeisterschaften jedes Jahr. Die beste Form genau zum richtigen Zeitpunkt zu haben, ist deshalb hier noch wichtiger. Auch der Gesamtweltcupsieg tritt dadurch etwas in den Hintergrund, denn auch den kann man jedes Jahr schaffen. Das haben die Sportler im Kopf, schieben deshalb, wenn es vielleicht nicht so gut läuft, auch einmal eine Weltcup-Pause ein, trainieren. Aber gleichzeitig ist es auch so: Ich kann beim Saisonhöhepunkt nicht überzeugen, wenn ich vorher schon keine Topleistungen gebracht habe. Ich muss für mich selbst sehen: Ich kann vorne mitlaufen, habe das Zeug fürs Podium.

Muss ich nach einer Krankheit, einer Weltcup-Pause einen komplett neuen Formaufbau vornehmen?
Kati Wilhelm: 
Nein. So eine Erkältung kann dich als Sportler immer mal erwischen. Wichtig ist dann nur, nicht zu schnell wieder zu viel zu wollen. Der Athlet will ja schnellstmöglich wieder auf die Bretter. Da besteht die Gefahr, dass eine Erkältung nicht richtig auskuriert wird, dass sie verschleppt wird. Problematischer sind Krankheit oder gesundheitliche Probleme eher in der Vorbereitung auf die Saison. So oder so: Wichtig ist, dass man sich nicht zu lange mit so etwas beschäftigt, sondern den Kopf wieder freibekommt.

Apropos Kopf freibekommen: Der Druck auf die deutschen Biathleten ist enorm, Biathlon ist die telegenste Wintersportart. Die Einschaltquoten sind enorm. Wie viele Medaillen müssten denn die Athleten holen, damit alle zufrieden sind?
Kati Wilhelm: 
(lacht) Allen kann man es sowieso nie recht machen. Von daher ... Es ist wie in der Schule: Du lernst nicht für Eltern oder Lehrer, sondern für dich. So ist es auch beim Sport: Du läufst und strengst dich an für dich selbst, für die Ansprüche und Ziele, die du selbst hast - und nicht wegen der äußeren Anspruchshaltung von Experten oder der breiten Öffentlichkeit. Da ist eine realistische Einschätzung jedes einzelnen nötig, und daran sollte er sich dann auch messen lassen.

Erik Lesser hat im ntv.de Interview "Olympia-Gold in der Staffel" als Ziel angegeben. Butter bei die Fische: Wie viele Medaillen holen deutsche Biathleten in Pyeongchang?
Kati Wilhelm: 
Ja, die Staffeln sollten beide eine Medaille holen. Aber eben da geht es auch mal ganz schnell nach hinten los: Verwachst, Strafrunde, und am Ende stehst du mit leeren Händen da. Aber die Anspruchshaltung der Deutschen sollte bei Männern und Frauen da sein, in der Staffel, eine Medaille zu holen.

Und insgesamt?
Kati Wilhelm: 
Fünf Medaillen sind meiner Meinung nach drin. Das sollte die Leistungsfähigkeit der deutschen Sportler hergeben. Zwei Staffel-Medaillen, dazu noch drei in den restlichen Einzelwettbewerben. Zum Vergleich - auch wenn der natürlich hinkt: Im Vorjahr bei der WM hat allein Laura Dahlmeier sechs geholt, davon fünf Goldene. Bei den Männern wird es aber insgesamt etwas schwieriger, gerade weil ein Fourcade und ein Bö so stark sind. Aber auch da bin ich guter Dinge, dass die vier Deutschen um die Medaillen mitlaufen können.

Ist das Leistungsniveau bei den Männern höher, die Spitze breiter?
Kati Wilhelm: 
Jein (lacht). Vergleiche hinken da etwas. Aber: Nach Fourcade und Bö können 10 bis 20 Athleten meistens um Platz drei kämpfen in dieser Saison. Bei den Frauen hast du dagegen vier bis fünf Sportlerinnen, die im Normalfall immer ums Podium kämpfen, sei es eine Laura Dahlmeier, eine Anastasija Kuzmina, eine Kaisa Mäkäräinen oder eine Darja Domratschewa. In diese Phalanx können dann auch einmal andere einbrechen, wie eine Denise Hermann oder eine Dorothea Wierer. Insgesamt würde ich sagen, dass die läuferische Dichte bei den Männern höher ist, die Frauen aber treffsicherer sind. Der Grund: Dadurch, dass bei den Männern in der Loipe die Leistungsdichte so hoch ist, musst du am Schießstand schnell schießen. Mehr riskieren. Dadurch kommt es häufiger mal zu Fehlern.

Was raten Sie als ehemalige Athletin, die bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen Medaillen gewonnen hat, den deutschen Biathleten?
Kati Wilhelm: 
Ich glaube, die brauchen keinen Rat von mir! Der Großteil von ihnen hat schon mehrere Weltmeisterschaften mitgemacht. Wichtig ist meiner Meinung nach nur, dass man nicht zu viel will, weil die Olympischen Spiele nur alle vier Jahre stattfinden, man halt nur alle vier Jahre eine Medaille gewinnen kann, deren Wertigkeit dadurch natürlich höher ist.

Das ist eine Besonderheit, gibt es noch andere?
Kati Wilhelm: 
In Pyeongchang sind die Startzeiten anders, die Zeitzone ist eine andere, die Kultur ist eine andere, das Essen: Damit musst du als Athlet klarkommen, am besten sehr schnell. Man muss die Sachen so nehmen, wie sie kommen, das gilt auch für etwaige Probleme. Abhaken, nicht lang damit beschäftigen. Versuchen zu genießen. Das können unbekanntere Sportler meist besser, weil die dort sind wegen der Teilnahme, nicht um auf Teufel komm raus Medaillen zu gewinnen. Dadurch kann es eben auch zu der einen oder anderen Überraschung kommen. Auch das ist eine Besonderheit von Olympischen Spielen.

Sie kennen die Strecken in Pyeongchang von den Weltmeisterschaften 2009. Sie wurden Sprint- und Einzelweltmeisterin und gewannen in der Verfolgung und mit der Staffel Silber. Was sind die Besonderheiten der Strecke und des Schießstands?
Kati Wilhelm: 
Die Strecken haben sich etwas verändert seit 2009. Man sie entschärft, weil damals gerade die Abfahrt hinunter ins Stadion nicht optimal gewesen ist (lacht). Allgemein waren die Strecken damals sehr schwer. Was den Schießstand betrifft: Es herrscht dort eigentlich immer Wind, es ist eine windige Gegend dort. Aber ich rechne nicht mit einer Windlotterie. Es werden auf jeden Fall interessante Wettkämpfe!

Apropos interessant: Das Thema russisches Staatsdoping verschont auch den Biathlon nicht. Sie sind als TV-Expertin nah dran an den deutschen Sportlern. Spielt das Thema eine Rolle bei ihnen, wer darf mit, wer nicht, warum?
Kati Wilhelm: 
Das Thema wird sicher diskutiert. Fakt ist für mich: Wenn jemand gedopt hat und es ihm nachgewiesen wurde, gehört er gesperrt! Alles andere birgt Probleme, wie man derzeit gerade sieht. Als sauberer Athlet hast du das Thema zwar im Hinterkopf, aber du darfst es nicht zu nah an dich ranlassen, weil es dich sonst belastet und sich negativ auf die Leistung auswirkt. Wenn ich damals an den Start gegangen bin, wusste ich, dass ich meine Form antrainiert habe. Ich muss meine Leistung bringen, für alles andere ist das Dopingkontrollsystem zuständig. Darauf muss ich als Sportler vertrauen können!

Aber das Dopingkontrollsystem hat Lücken ...
Kati Wilhelm: 
Ja, es wird aber ständig daran gearbeitet, weiter entwickelt. Es wird engmaschiger. Dass das Kontrollsystem scheinbar immer ein Stück den Dopern hinterher hinkt, ist auch ein Fakt, den man aber nicht an sich ranlassen darf. Wenn man sich für Leistungssport entschieden hat, darf man nicht so naiv sein, zu glauben, dass der 100 Prozent sauber ist. Das klingt zwar traurig, ist aber so schnell nicht zu ändern. Die, die immer gewinnen, deren Leistungen braucht man meiner Meinung nach nicht infrage zu stellen. Ein Auge sollte man auf die haben, die urplötzlich auftauchen und bei Großereignissen scheinbar aus dem Nichts Medaillen gewinnen.

Quelle: ntv
Mit Kati Wilhelm sprach Thomas Badtke

Zurück

Weitere Meldungen finden Sie in unserem Archiv




Gedruckt von: https://www.kati-wilhelm.de/newsdetails.html