Sie sind hier: 
  • "Uns fehlt derzeit ein Ausnahmetalent"
  • Archiv

    08.01.2011

    "Uns fehlt derzeit ein Ausnahmetalent"

    Im vergangenen Frühjahr beendete Olympiasiegerin Kati Wilhelm ihre Biathlon-Karriere. Mittlerweile hat die 34-Jährige die Fronten gewechselt und bewertet als TV-Expertin die Leistungen ihrer einstigen Kollegen. Im Interview mit "Welt Online" spircht Wilhelm über den ausbleibenden Erfolg der Deutschen und die hohen Erwartungen an Shootingstar Miriam Gössner.

    Welt Online: Frau Wilhelm, im Vorjahr standen Sie noch mit der Waffe am Schießstand, jetzt kommentieren Sie entweder für die ARD oder wie beim Weltcup in Oberhof für einen Sponsor die Leistungen der Biathleten am Mikrofon. Wie schwer fällt Ihnen das Kritisieren ehemaliger Kollegen?

    Kati Wilhelm: Ich habe vor diesem Winter dem Männer- und Frauenteam eine Rundmail geschrieben, dass ich die Fronten gewechselt habe und es mein neuer Job erfordert, ihre Leistungen auch kritisch zu betrachten; mit einem Augenzwinkern, dass ich hoffe, nur wenig Gelegenheit dazu zu haben. Wenn es fundierte Kritik ist, und diesen Anspruch habe ich an mich selbst, habe ich kein Problem damit und die Sportler sollten auch keines damit haben.

    Welt Online: Ihre Hoffnung auf versöhnliche Leistungen wurde kaum erfüllt. Die Biathlon-Großmacht Deutschland schwächelt zu Beginn dieses Winters.

    Wilhelm: Sie ist im Umbruch. Es läuft noch nicht alles glatt, das war aber auch zu erwarten.

    Welt Online: Nach Ihrem Rücktritt und den Abgängen Ihrer Kolleginnen Simone Hauswald und Martina Beck fällt in diesem Winter auf: Fast alle deutschen Skijäger können schnell laufen, kaum einer beherrscht aber das genaue Schießen. Was läuft da schief?

    Wilhelm: Man darf nicht vergessen, dass sich die Schießleistungen international mittlerweile auf einem sehr hohen Niveau befinden. Manche Sportler fühlen sich deshalb schon beim Start dem Druck ausgesetzt, nur bei null Fehlern auf dem Siegerpodest landen zu können. Bei unerfahrenen, aber schnellen Läufern kommt hinzu, dass sie manchmal zu schnell an den Schießstand heran laufen. Mit der dann erhöhten Pulsfrequenz stimmt der Rhythmus beim Schießen nicht.

    Welt Online: Sind das eher handwerkliche Schwächen oder mentale Probleme?

    Wilhelm: Handwerkliche Fehler können sich schnell auf die Psyche auswirken. Am Anfang einer Saison sagst du dir noch: „Och, dieser eine Fehlschuss ist doch nicht so schlimm.“ Wenn es aber beim nächsten oder übernächsten Wettkampf wieder daneben geht, gerätst du in einen teuflischen Kreislauf. Du beginnst, in dich hineinzuhören, plötzlich auf Nebensächlichkeiten zu achten, die du sonst immer ausgeblendet hast und die dich ablenken. Am Ende bist du schon verunsichert, wenn du das Gewehr anlegst.

    Welt Online: Seit Jahren wird im Deutschen Skiverband über das Engagement eines Schießtrainers geredet, zuletzt nach dem enttäuschenden Abschneiden der Männer bei den Olympischen Spielen. Die Position ist vakant geblieben. Sind das nur Alibi-Diskussionen?

    Wilhelm: Ganz generell ist es ja so, dass auch ein Schießtrainer kein Allheilmittel ist. In Oberhof gibt es schon immer eine Kooperation mit den Sportschützen aus Suhl, aber letztendlich sind die Unterschiede zwischen Sport- und Biathlonschießen doch sehr groß. Dennoch darf man die internationale Entwicklung in den anderen Biathlon-Teams nicht aus den Augen verlieren. Es gibt im deutschen Trainerstab sehr gute Schützen, und bei den Frauen ist mit der Verpflichtung von Ricco Gross ein guter Schachzug gelungen. Auch er war immer sehr treffsicher und hat versucht, erste Akzente zu setzen, wie mit Pulskontrollen im Training.

    Welt Online: Das klingt mehr nach einer Selbstverständlichkeit als nach einer revolutionären Methode. Die Norweger scheinen an ganz anderen Stellschrauben zu drehen.

    Wilhelm: Ja, die Arbeit der Norweger ist faszinierend. Die Mannschaft hat gemeinsam beschlossen, ihre Schießzeiten zu verringern, und dann haben sie gemeinsam über den Sommer daran gefeilt.

    Welt Online: Nun scheinen Sie auf Jahre hinaus unbesiegbar zu sein. Neben den Olympiasiegern Ole-Einar Björndalen und Emil Hegle Svendsen haben eine Reihe von Athleten das Siegerpodest gestürmt, zuletzt der junge Tarjei Bö. Haben die DSV-Männer ein Nachwuchsproblem?

    Wilhelm: Vergessen Sie nicht, in Norwegen hat Langlauf und Biathlon einen noch größeren Stellenwert als hier. Aber Talente gibt es bei unseren Frauen und Männern genauso. Was derzeit fehlt, ist ein Ausnahmeathlet. An Ricco Gross, Frank Luck oder Sven Fischer kam national jahrelang niemand vorbei. Gut möglich, dass da ein großes Talent vorschnell das Handtuch geworfen hat. Dann aber gab es den heftigen Umbruch: Eine ganze Generation hat aufgehört, und es mussten Sportler die Verantwortung übernehmen, die das überhaupt nicht gewohnt waren. In der Damenmannschaft dagegen war die Altersstruktur eine andere. Die jungen Athletinnen konnten im Schatten der Erfolgreichen reifen.

    Welt Online: Bei den Männern steht in diesem Winter ein dritter Platz von Michael Greis. Was können die Männer von den Frauen noch lernen?

    Wilhelm: Das ist kaum zu beantworten, weil man beide Teams nicht miteinander vergleichen kann.

    Welt Online: In Miriam Gössner könnte dem deutschen Biathlon noch in diesem Winter ein neuer Star erwachsen wie Magdalena Neuner 2007.

    Wilhelm: Ich sehe die Parallelen, aber genau das kann auch zu einem Problem werden. Jeder vergleicht sie schon jetzt mit der jungen Lena. Ihr Weg ist für viele bereits vorgezeichnet, das macht es für Miri ungleich schwieriger als für Lena vor vier Jahren. Sie konnte damals konnte sie unbeschwert laufen, weil es viele Sieganwärterinnen im deutschen Team gab. Jetzt verteilt sich fast die gesamte Last auf Lena und Andrea Henkel, und solange Kathrin Hitzer noch nicht zur Höchstform gefunden hat, auch schon auf Gössner. Diese Erwartungshaltung kommt für sie noch zu früh.

    Welt Online: In der Mixedstaffel beim Weltcup in Pokljuka erlebte Gössner ein Desaster – sieben Fehlschüsse im letzten Schießen. Sind das Auswirkungen dieser Konstellation?

    Wilhelm: Jeder hat sein persönliches Debakel am Schießstand irgendwann erlebt, die meisten sind dadurch reifer geworden. Auch sie wird daran nicht zerbrechen. Geduld ist gefragt. Das Leistungsniveau ist international inzwischen so hoch, dass du nicht mal mehr eine Strafrunde aufholen kannst, vielleicht gelingt das Lena noch. Hinzu kommt, dass Sie einem Kampf zwischen Biathlon und Langlauf ausgesetzt ist, der sehr aufreibend ist. Es ist einfacher, wenn nicht an dir herumgezerrt wird und du dich nicht noch auf eine Alternative konzentrieren musst.

    Welt Online: Wie dramatisch ein Jungstar in die Abwärtsspirale geraten kann, beweist der 27 Jahre alte Michael Rösch, der 2006 zum Staffel-Olympiasieger aufstieg und sich seit einem Jahr im zweitklassigen IBU-Cup abmüht.

    Wilhelm: Er ist jetzt ganz unten angekommen, und es ist wahnsinnig schwer, da wieder herauszukommen. Vor allem, weil sein derzeitiges Problem das Schießen ist. Dabei waren die schnellen, sicheren Einlagen damals der Grundstein für seinen Erfolg.

    Welt Online: Rösch beklagt sich, dass sich seit seinem Abstieg kein Trainer für ihn interessiert habe. Sind das Ausflüchte oder werden Talente im DSV verheizt?

    Wilhelm: Er hat sich zurückgesetzt gefühlt. In diesem Moment wünscht sich jeder Athlet eine Bestätigung von den Trainern. Dabei ist Fingerspitzengefühl gefragt. Vielleicht hat man das etwas vernachlässigt. Aber auf Grund einer jahrelangen problemlosen Entwicklung fehlt für solche Situationen auch die Erfahrung.

    Welt Online: Wird er aus der Krise kommen?

    Wilhelm: Letztlich kann er sich nur am eigenen Schopf aus dem Schlamassel rausziehen, denn richtig schlimm wird es, wenn dir jeder erklären will, wie es wieder bergauf geht.

    Welt Online: Könnte der jungen Gössner ein ähnliches Schicksal blühen, weil sie zu früh in die Elite rutschte?

    Wilhelm: Niemand weiß, was morgen passiert. Aber ein „zu früh“ für die Elite gibt es nicht.

    Quelle: WELT ONLINE