Sie sind hier: 
  • "Ich lege ja nicht die Füße hoch"
  • Archiv

    05.11.2010

    "Ich lege ja nicht die Füße hoch"

    Der sportliche Mittvierziger ist verblüfft. Er sitzt da, wo er als Dauerkartenbesitzer des SC Charlottenburg immer sitzt bei Spielen seines Berliner Volleyballteams. Als er aber zwischen zwei Sätzen interviewt wird, stutzt er. Die junge Frau, die ihn mit dem Rekorder in der rechten und dem Mikrofon in der linken Hand befragt, ist nämlich berühmter als die Profis auf dem Parkett: Kati Wilhelm (34), dreimalige Olympiasiegerin, fünfmalige Weltmeisterin, Deutschlands Sportlerin des Jahres 2006. Die Ausnahmebiathletin, die im Frühjahr ihre Karriere beendete, absolviert gerade ein Praktikum beim ARD-Sender RBB. 

    Die Welt: Streben Sie jetzt eine Medienkarriere an, Frau Wilhelm?
    Kati Wilhelm: Der RBB hat die Federführung für die Biathlonübertragungen in der ARD, und wir haben bereits im Mai verabredet, dass ich in der kommenden Saison die Expertin bei den Rennen sein werde. Da habe ich gefragt, ob ich nicht zuvor ein Praktikum machen könnte.

    Die Welt: Die Initiative ging von Ihnen aus?
    Wilhelm: Schon, weil ich das vielleicht später auch für mein Studium "Internationales Management" gebrauchen kann.

    Die Welt: Aber Sie könnten auch ohne Praktikum erklären, dass es für das Schießen zu windig war.
    Wilhelm: Sicherlich wird mein Beruf nicht bis zur Rente der einer Expertin sein. Und da ist es doch gut, mal zu sehen, ob Fernsehen generell etwas für mich sein könnte.

    Die Welt: Und ist es das?
    Wilhelm: Als Athletin machst du dir doch keine Gedanken, wie das alles läuft. Die Kamera ist an, dann sagst du was, und die Leute sehen es im Fernsehen. Aber was dahinter für ein Aufwand steht und von dem Stress, der hinter den Kulissen herrscht, kriegst du überhaupt nichts mit. Was hinter einem Zwei-Minuten-Beitrag oft an Arbeit steckt, hat mich schon überrascht. Auch der Zeitdruck, unter dem oft gearbeitet wird, ist enorm. Da kannst du ja nicht alles einfach hinschmeißen und sagen: "Die Zeit hat nicht gereicht." Das wäre ja keine Entschuldigung für einen schwarzen Bildschirm zu Hause. Das ist alles sehr spannend. Im Hörfunk übrigens genauso, sonnabends die Bundesligasendung, beispielsweise ist auch extrem durchgeplant, sowohl im Studio als auch für die Reporter in den Stadien.

    Die Welt: Wie reagieren denn Interviewpartner, die Sie erkennen?
    Wilhelm: Ich denke oft, wenn mich niemand kennen würde, würde es mir leichter fallen. Wenn die Leute wissen, wer du bist, und du dich dann ein bisschen bescheuert anstellst, ist das halt unangenehmer als für jemanden, den sie noch nie gesehen haben. Die Leute sind schon überrascht, aber ich sage dann immer, das ist doch normal, dass ich nach dem Sport nicht den Rest meines Lebens die Füße hochlege.

    Die Welt: Wie war es nach dem letzten Rennen - sind Sie in ein Loch gefallen?
    Wilhelm:
    Nein, es ging aufregend weiter mit Terminen und neuen Aufgaben, und du sagst dann: "Schön, für all das hast du jetzt Zeit." Und ganz wichtig: Ich habe den Entschluss aufzuhören ganz allein für mich gefasst. Ich bin nicht bedrängt worden, und es gab keinen Grund aufzuhören. Ich habe gesagt: "Es reicht." Es gibt noch etwas anderes außer Sport, deshalb stand ich zu dieser Entscheidung, und deshalb konnte ich gut damit leben. Ich habe mich auch sehr auf alles gefreut, was kommen würde. Ich war im Sommer mal bei der Mannschaft im Trainingslager und habe es genossen, an der Strecke zu stehen und da nicht die Steigung hoch zu müssen.

    Die Welt: Und der Wettkampf, das Adrenalin - fehlt Ihnen das alles nicht?
    Wilhelm:
    Nein, ich spreche oft mit Andrea Henkel. Sie erzählt mir, was sie trainiert. Dann sag ich: "Ja, ja, genau." Und dann fällt mir ein, das muss ich ja alles nicht mehr. Sicherlich, wenn es jetzt losgeht und die anderen dann hoffentlich auf dem Podest stehen, werde ich mir vielleicht auch ab und an noch sagen, da hättest du auch noch mal gern gestanden. Aber die Erfolge fallen ja immer schwerer, und wenn du die Leistung nicht bringst, die du erhofft hast, bist du unzufrieden. Dem wollte ich zuvorkommen.

    Die Welt: Was erwarten Sie als Expertin von der kommenden Saison?
    Wilhelm: Vielleicht wird die Mannschaft insgesamt nicht ganz so stark sein, weil ja auch Martina Beck und Simone Hauswald zurückgetreten sind. Andrea Henkel und Magdalena Neuner werden mehr Verantwortung übernehmen müssen. Ich denke aber, dass Katrin Hitzer, die vorige Saison verletzt war, und Tina Bachmann einen Schritt nach vorn machen werden. Beide haben ja schon Weltcuprennen gewonnen. Das ist jetzt eine nacholympische Saison, und möglicherweise werden wir durchgängig nicht immer ganz vorn mit dabei sein. Aber hinsichtlich der Vorbereitung auf die WM 2012 in Ruhpolding bin ich optimistisch. Wir haben viele Talente, und vielleicht überraschen uns ja einige von denen.

    Interview: Theo Breiding
    Quelle: http://www.welt.de