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    02.07.2010

    Als Nachzüglerin auf die Überholspur

    Steinbach-Hallenberg, Spielwiese: Der Fußballplatz, an dem wir uns mit Kati verabreden, ist alles andere als eine Wiese zum Spielen. Es ist ein Hartplatz, bei dessen Anblick jeder Kicker ins Schaudern gerät. "Hier haben wir uns meist zum Training getroffen und sind unsere Runden im Gelände gelaufen", berichtet Kati. Hier, ja hier mitten in Steinbach-Hallenberg, begann vor 27 Jahren in der Sektion Ski von Motor Steinbach-Hallenberg die Karriere von Kati Wilhelm. Wenige Tage zuvor hatte sie ihre Zuckertüte bekommen.

    Auch die kleine Turnhalle neben der Spielwiese lädt nicht mehr unbedingt zum Spielen ein. Muss sie auch nicht, denn Steinbach-Hallenberg verfügt mittlerweile über eine neue Sporthalle. Die Schule, die Kati bis zur siebten Klasse besucht hat und die sich nur einen Steinwurf weit von der Spielwiese befand, steht derweil nicht mehr. Stattdessen befindet sich dort jetzt ein Einkaufsmarkt. "Eigentlich schade", sagt Kati.

    "Anfangs haben wir uns hier oder in der Halle einmal pro Woche zum Training getroffen. Das hat sich dann im Laufe der Zeit langsam gesteigert", erzählt Kati, "wobei immer der Spaß im Vordergrund stand." Peter Keller, Reinhard Heil, Martin Holland-Nell, Roland Reumschüssel und Ulli Bahner - die Namen der fünf Übungsleiter, die sie einst für den Langlauf begeisterten, nennt Kati noch viel schneller als sie später tausendfach die fünf kleinen Scheiben am Schießstand abräumte.
    Ganz andere Sitten herrschten dagegen in Oberhof, der einstigen Kaderschmiede der DDR. Dort galt schon im Kindesalter das Leistungsprinzip. "Als wir uns in Lautenbach bei Trusetal zum ersten Mal zu einem bezirksweiten Test getroffen haben, waren die Oberhofer in allen Disziplinen, ob Cross oder Klimmzüge, unschlagbar", erinnert sich Kati. Fortan mochte Kati Oberhof überhaupt nicht mehr. Doch in der von Steinbach-Hallenberg nur 15 Kilometer entfernten und 400 Meter höher liegenden Wintersport-Hochburg sollte viele Jahre später ihre Karriere erst richtig Fahrt aufnehmen.

    Viel lieber als die Vergleiche mit den Oberhofern mochte Klein-Kati Wettstreite auf Kreisebene mit Vereinen wie Asbach, Floh oder Trusetal. "Bei einer Spartakiade in Herges-Hallenberg habe ich einmal ein Rennen gewonnen und der erste Preis war eine rote Mütze mit Norwegermuster." Somit wäre wohl auch geklärt, woher die Vorliebe für rote Mützen und rote Haare stammt. Als Kati später die Biathlonwelt eroberte, sollten neben ihren Erfolgen die roten Haare zu ihrem Markenzeichen werden.

    Wende ein Glücksfall
    Doch auch bei ihr lief längst nicht immer alles wie am Schnürchen. Als die Trainerschaft aus Oberhof einen Blick auf sie geworfen hatte und als logischer Schritt eines jeden Talentes der Sprung an die Sportschule in Oberhof bevor stand, musste sie wegen Rückenproblemen kürzer treten. Außerdem ging bei einem wichtigen Wettkampf am Beerberg alles daneben. "An einem Anstieg bin ich ins Stolpern gekommen und stand plötzlich mit einem Strumpf im nassen Schnee. Bis Strumpf, Schuh und Ski wieder eine Einheit waren, verging über eine Minute. Und beim zweiten Rennen habe ich mich in einer Abfahrt auf den Hintern gesetzt. Es war einfach eine Katastrophe", erzählt Kati, die bei der Rückschau längst tief in ihre Kindheit eingetaucht ist und detailgetreu Erinnerungen wiedergibt. Und das Schöne dabei: Sie, die jahrelang als Spitzensportlerin nicht nur in den Rennen von der Uhr getrieben wurde, hat Zeit. Viel Zeit. Und Spaß.

    Der erhoffte Sprung nach Oberhof im Anschluss an die sechste Klasse hatte sich also erledigt und Katis Langlauf-Karriere damit eigentlich auch. "Ich habe dann im Verein in Steinbach-Hallenberg noch ein Jahr hobbymäßig weitergemacht und wollte eigentlich aufhören." Einen Sommer später, im Jahr 1990, sah die Welt aber ganz anders aus. Nicht nur sportlich, auch politisch. Die DDR befand sich in Auflösung und an der Sportschule hatten sich die Reihen in der Langlauf-Klasse gelichtet. "Plötzlich sind mir die Trainer aus Oberhof zu Hause die Bude eingelaufen und wollten mich unbedingt haben", sagt Kati, als wir an der Neuen Hütte direkt neben dem Schwimmbad angekommen sind. "Wäre die Wende nicht gekommen, wäre ich nie in Oberhof gelandet", stellt sie rückblickend fest. Wie so oft im Leben stand auch bei ihr der Zufall mitunter Pate, traf sie zudem Bauchentscheidungen, die sich rückblickend als Volltreffer erwiesen.
    Gut fünf Minuten und einen knackigen Anstieg entfernt von der Spielwiese war an der Neuen Hütte das zweite Trainingsdomizil der jungen Langläufer aus Steinbach-Hallenberg. "Wir haben hier im Sommer meist gespielt oder waren auf der Straße mit Rollski unterwegs. Im Winter sind wir hier natürlich Ski gelaufen und haben uns Schanzen gebaut, auf denen wir natürlich auch gesprungen sind." Die riesengroße Wiese hier eignet sich tatsächlich weit besser zum Spielen als die Spielwiese unten im Ort.

    Später Griff zur Waffe
    Als 14-Jährige war ihr durchaus bewusst geworden, dass an Oberhof kein Weg vorbeiführt. Überredungskünste benötigten die Talentförderer von der Höh' also nicht. "Mit offenen Armen haben sie mich aber nicht empfangen, zumal ich ja ein Jahr verloren hatte und anfangs bei jedem Rennen über eine Minute Rückstand zur Vorletzten hatte." Doch vor allem Kurt Albrecht nahm sich der Nachzüglerin an und führte sie auf die Überholspur.
    "Ich bin dann gewissermaßen in den Leistungssport reingewachsen", bekennt Kati, "und da ich fast jeden Tag mit dem Bus wieder nach Hause fahren durfte, fiel mir das nicht all zu schwer." Bei ihren Eltern in der Moosburgstraße fand sie stets ein wärmendes Nest, in dem sie auch später als Weltklasse-Biathletin immer wieder Kraft und Ruhe tanken sollte. "Familie und Heimat sind ein Stück Geborgenheit", sagt Kati.

    Als Langläuferin erkämpfte sie immerhin Platz fünf mit der Staffel bei den Olympischen Spielen 1998. Die herben Enttäuschungen bei der Weltmeisterschaft zwölf Monate später mit Krankheit und der Nichtberücksichtigung in der Staffel sollten sich im Nachgang allerdings als Glücksfall erweisen. Kati: "Ich musste mir anschließend einfach Gedanken machen, wie es weitergehen soll. Ich war schließlich schon 23 Jahre alt und hatte es satt, zu warten, bis ich richtig gut bin."

    Gesagt, getan. Bei der Militär-WM, wo Sportsoldaten verschiedener Länder um Medaillen streiten, griff sie im März 1999 als Noch-Langläuferin erstmals zum Gewehr und traf gleich drei Scheiben. Binnen einer Woche war die Entscheidung gefallen: Von nun an Biathlon. "Ohne Hintertürchen", wie sie rückblickend erklärt: "Hätte es nicht funktioniert, hätte ich aufgehört."
    Es hat funktioniert. Und wie! Nur zwei Jahre später sorgte Kati gleich in ihrem ersten WM-Rennen für einen Paukenschlag: Weltmeisterin in Pokljuka im Sprint. Dabei hatte sie die persönliche Zeitschiene für den Umstieg ursprünglich bis zu den Olympischen Spielen 2002 ausgelegt, denn ein Wechsel vom Langlauf zum Biathlon ist wahrlich kein Kinderspiel. "Sonst würden ihn wahrscheinlich viel mehr Langläufer wagen", so Kati. Allein, dass man beim Laufen plötzlich ein vier Kilogramm schweres Gewehr auf dem Rücken hat, sei völlig ungewohnt gewesen: "Und von der Handhabung der Waffe ganz zu schweigen." Heute kann man sich Kati, obwohl sie im März ihre Laufbahn beendet hat, auf Skiern und ohne Gewehr nur schwer vorstellen.

    Doch ihr Ehrgeiz und der Hang zum Perfektionismus waren es, die sie stets vorwärts trieben, die sie veranlassten, Dinge zu überdenken und mit aller Konsequenz zu verändern. Sei es beim Umstieg zum Biathlon oder im Jahr 2004, als sie ihren Trainingsort nach Ruhpolding verlegte - und zwei Jahre später zum dritten Mal Olympiasiegerin werden sollte. Oder 2008, als sie nochmals den Trainer wechselte - und postwendend Doppelweltmeisterin wurde.

    Keine Weltmetropole
    Heute Abend nun schließt sich für Thüringens bekannteste Sportlerin in Steinbach-Hallenberg der Kreis. Auf dem Rathausplatz sagt sie ab 18 Uhr offiziell Tschüss. Es ist ein besonderes Dankeschön der Ehrenbürgerin an ihre Heimatstadt, ihre Fans und ihre Wegbegleiter. "Steinbach-Hallenberg ist zwar keine Weltmetropole, aber hässlich ist es hier wirklich nicht", stellt Kati fest, als wir bei unserem Rundgang hoch über der Stadt an der Hallenburg angekommen sind und die Aussicht genießen. "Und das Wetter ist hier viel besser als in Ruhpolding", ergänzt sie noch. Es ist also nicht undenkbar, dass sie zwischen Hermannsberg und Arzberg wieder sesshaft wird. Ein Grundstück am Kirchberg hat sie von der Stadt jedenfalls vor Jahren schon geschenkt bekommen.

    Quelle: www.freies-wort.de