21.11.2013

Interview auf sport1: "Für die Deutschen bleibt kaum Platz"

München - "Wir sind nach wie vor eine Biathlon-Nation", sagt Kati Wilhelm im Interview mit SPORT1. Doch Deutschland hat die Dominanz vergangener Tage eingebüßt. Das weiß die dreimalige Olympiasiegerin. Die 37-Jährige hat einen kritischen Blick auf die Weltelite ihres Sports, den sie gemeinsam mit Magdalena Neuner bis zu ihrem Karriere-Ende 2010 beherrschte. Heute reist die fünfmalige Weltmeisterin dem Weltcup als TV-Expertin hinterher.

Vor dem Auftakt im schwedischen Östersund (So., ab 15.30 Uhr im LIVE-TICKER) spricht sie mit SPORT1 über die Ambitionen deutscher Biathleten, das schwere Erbe, das sie ihren Nachfolgern hinterlassen hat und erklärt, warum die olympische Saison speziell ist.

SPORT1: Frau Wilhelm, ein Sieg bei Olympia ist...
Kati Wilhelm:
...das Schönste, was einem passieren kann, wenn man noch Zeit für eine Fahne hat und nicht bangen muss, wenn die Mitfavoriten noch auf der Loipe sind. Bei meinem Sieg im Verfolgungsrennen in Turin 2006 konnte ich den Zieleinlauf besonders lange auskosten. Solche Momente vergisst du nicht.

SPORT1: Momente, wie sie deutsche Biathletinnen nach der Ära Wilhelm/Magdalena Neuner/Uschi Disl selten erleben. Was ist im olympischen Winter für sie drin?
Wilhelm:
Wir sind nach wie vor eine Biathlon-Nation. Die Männer waren in den letzten Jahren immer knapp dran und bei den Frauen ist mit Andrea Henkel und Miriam Gössner vieles möglich.

SPORT1: Dabei gehörten die Deutschen zuletzt nicht mehr zur absoluten Weltspitze...
Wilhelm:
Ja, aber eine olympische Saison ist sehr speziell. Es war oft so, dass sich große Favoriten bei Olympia verpokern. Sie wollen oft noch eins drauflegen, was bei dem Niveau eigentlich gar nicht mehr geht. Franzosen und Norweger haben viel vor, die Russen stehen unter Druck. Da bleibt nicht viel Platz für die Deutschen, aber sie haben berechtigte Chancen auf Medaillen.

SPORT1: Als Sie und Neuner an den Schießstand gingen, galten diese als sicher.
Wilhelm:
Da waren eben nicht nur ich und die Magdalena, sondern die Martina (Beck), Simone (Hauswald) und Andrea (Henkel). Jede musste sich immer wieder profilieren, weswegen das Leistungsniveau sehr hoch war. Danach war es schwierig, dieses Niveau zu halten, weil den Nachrückern Erfahrung fehlte.

SPORT1: Eine neue Ära ist nicht in Sicht?
Wilhelm:
Es wird nicht jeder die Erfolge sammeln können, die wir geholt haben, das ist nun mal so. Nimmt man Katrin Apel und Uschi Disl dazu, waren wir zeitweise sechs Athletinnen, die jede für sich jederzeit auf dem Podium stehen konnte. Das war das Glück des deutschen Biathlons.

SPORT1: Das jetzt die Konsequenzen erfährt?
Wilhelm:
Ich denke mal, dass alles im Rahmen ist und die neue Frauen-Mannschaft von den Erfahrungen Henkels und Gössners profitiert. Diesem Team muss man Zeit geben. Die Jüngeren hatten lange keine Chance, weil wir keinen Platz gemacht haben. Wir waren zu dominant, zu gut.

SPORT1: Ihre Nachfolger arbeiten hart für den Anschluss an die Top-Nationen. Welche Eigenschaften braucht ein Biathlet auf Weltklasse-Niveau?
Wilhelm:
Einen Wahnsinns-Ehrgeiz. Es ist ein harter Job, man muss sich quälen können. Die wenigsten Tage sind eitel Sonnenschein. Du musst im Ausdauerbereich Kilometer schrubben ohne Ende. Nur, wenn du dir sagst: Ich will mich quälen, ich will das erreichen, schaffst du es.

SPORT1: Unbedingt erreichen wollten die deutsche Top-Skiläuferin Maria Höfl-Riesch und weitere Befürworter eine Bewerbung Münchens für die Winterspiele 2022 - das ging gründlich schief.
Wilhelm:
Mich hat das Ergebnis erschreckt, das habe ich so nicht erwartet. Eine Bewerbung hätte diesmal wirklich Chancen gehabt. Schade. Für den Nachwuchs sind solche Spiele ein enormer Schub. Wenn der Wintersport zu Hause in solch ein Rampenlicht gerückt wird, bekommen sie viel mehr Lust darauf, es selbst auszuprobieren. Da wird es in Zukunft wieder schwer werden, ein paar Leute vor dem Computer hervorzulocken.

SPORT1: Die Befürworter bemühten das Argument des einzigartigen Flairs. Sie haben die Atmosphäre viermal miterlebt.
Wilhelm:
Wir hatten hierzulande als Paradebeispiel das Sommermärchen bei der Fußball-WM 2006. Es wäre an der Zeit für ein Wintermärchen gewesen. Deutschland hätte allen zeigen können, dass Olympia auch ökologisch sauber geht.

SPORT1: Sauber sollen sogenannte Knebelverträge keineswegs sein, zu deren Unterschrift das Internationale Olympische Komitee angeblich Ausrichterstädte verpflichtet...
Wilhelm:
Ich stecke da nicht genug in der Materie drin. Wenn es diese Verträge gibt, dann werden sie auch mit anderen Veranstaltern abgeschlossen. Mit dem "Nein" zur Bewerbung hat Deutschland die Chance aufgegeben, über unliebsame Inhalte zu verhandeln und vielleicht ein Umdenken zu bewirken.

SPORT1: Im Februar ist Russland dran. Sie werden als Fernsehexpertin dabei sein. Sotschi sieht sich mit erheblichen Vorwürfen wie Menschenrechtsverletzungen konfrontiert. Was sagen Sie dazu?
Wilhelm:
Ich finde, dass Olympische Spiele nicht der richtige Platz für Proteste sind. Als Leistungssportler trainierst du vier Jahre darauf hin, es ist das Größte für dich. Klar sollte man eine Meinung dazu haben. Etwas daran zu ändern, kann aber nicht Aufgabe der Sportler sein. Sportler können nicht die Probleme der Politiker lösen. Bei der Vergabe sollte allerdings besser darauf geachtet werden, ob bereits vorhandene Sportanlagen genutzt werden.

SPORT1: Das war in Sotschi nicht der Fall...
Wilhelm:
Mir fällt spontan das Beispiel Turin ein. Das Stadion dort war toll, die Atmosphäre super. Drei Jahre später bin ich im Sommer dort gewesen, das Stadion war komplett zugewachsen. Es fanden glaube ich noch zweimal Eurocups statt und das war's.

SPORT1: "Laura" wird das neuerbaute Biathlon-Stadion in Sotschi genannt. Und Sie kommentieren vom Expertenpult schwarz-rot-goldene Zieleinläufe?
Wilhelm:
Medaillen sind das Ziel. Leicht wird es aber sicher nicht.

Von Patrick Mayer

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