11.12.2011

"Es ist schön, dem Stress zu entfliehen"

Vor gut zwei Wochen wurde Kati Wilhelm Mutter. "Welt am Sonntag" sprach mit der jungen Mutter über ihre neue Rolle sowie auch über den Rücktritt von Magdalena Neuner.

Sie hat bravourös gemeistert, was Magdalena Neuner, 24, nun bevorsteht. Die dreimalige Biathlon-Olympiasiegerin Kati Wilhelm, 35, beendete nach den Olympischen Spielen 2010 ihre Karriere und schuf sich abseits von Loipe und Schießstand ein erfülltes Leben - als Fernsehkommentatorin, Studentin und seit drei Wochen auch als Mutter. Sie brachte am 22. November per Kaiserschnitt ihre Lotta zur Welt.

Welt am Sonntag: Frau Wilhelm, sind Sie als Mutter dieselbe Perfektionist wie als Biathletin?
Kati Wilhelm: Als Biathletin stand nur ich im Mittelpunkt, als Mutter muss ich Verantwortung für jemand anderen übernehmen. Da will ich schon perfekt sein. Aber diesen Anspruch hat wahrscheinlich jede Mutter.

Welt am Sonntag: Windeln, Flasche, Strampler - hat bei Ihnen alles seinen festen Platz?
Kati Wilhelm: Ich bin keine Gluckenmama, ich versuche, relaxt zu sein. Freunde und Familie konnten es nicht fassen, dass mein Freund und ich vor dem Geburtstermin noch kein Kinderzimmer eingerichtet hatten und ich am Tag vorher noch nicht die Tasche für die Klinik gepackt hatte. Ich hoffe, dass sich meine Entspannung auf das Kind überträgt.

Welt am Sonntag: Was genießen Sie nun am meisten?
Kati Wilhelm: Lotta auf dem Arm zu haben. So ein Baby ist der Wahnsinn, da brauchst du kein Fernsehen mehr. Ich kann ihr den ganzen Tag einfach nur zugucken. Ich bin fasziniert, was sie für süße Fratzen ziehen kann. Oder wenn sie eine Stunde braucht, um aufzuwachen und sich rekelt. Das ist schon sehr süß.

Welt am Sonntag: Wie weit sind Sie vom Biathlon-Zirkus mittlerweile entfernt?
Kati Wilhelm: Biathlon beschäftigt mich nach wie vor, weil ich durch meinen Freund (Ski-Techniker, d.R.) und meinen Job als Kommentatorin nach wie vor involviert bin. Aber ich habe mit meiner sportlichen Karriere abgeschlossen. Gut möglich, dass die Geburt von Lotta dieses Empfinden noch verstärkt hat, weil ich noch eine Aufgabe dazubekommen habe.

Welt am Sonntag: Sie traten nach Olympia 2010 zurück. Würden Sie Ihren Übergang zur Ex-Sportlerin als geglückt bezeichnen?
Kati Wilhelm: Auf jeden Fall. Es war der richtige Zeitpunkt, ich habe es hinterher nie bereut. Ich habe meine Sportlerjahre genossen, aber auch gewusst, dass es weitergehen muss. Erst im Nachhinein habe ich gemerkt, wie anstrengend Biathlon war. Nicht nur physisch, sondern auch psychisch. Das Training hat mich belastet, weil du den ganzen Sommer über trainiert hast und erst im Dezember wusstet, ob es gefruchtet hat. Wenn es dann nicht lief, hat das sehr an mir gezehrt, weil du wusstest, dass du nicht mehr viel ändern konntest.

Welt am Sonntag: Magdalena Neuner begründete gerade ihre Rücktrittsankündigung damit, dass sie nach ihrem Aufstieg 2007 und 2010 bei Olympia nahe am Burn-out gewesen sei. Kann einen Biathlon mental fertigmachen?
Kati Wilhelm: Es ist nicht speziell Biathlon. Es ist die hohe Anspannung, die hohe Erwartungshaltung im Leistungssport. Je mehr Leistung man bringt, desto mehr Leistung wird von dir erwartet. Diesem Druck setzt sich jeder Athlet aus, dafür haben wir uns entschieden. Es ist aber nicht leicht, damit umzugehen.

Welt am Sonntag: Was haben Sie die extremen Erfahrungen aus dem Sport für Ihr jetziges Leben gelehrt?
Kati Wilhelm: Wir Sportler können uns besser motivieren als andere. Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, gebe ich nicht so schnell auf und kneife die Arschbacken zusammen. Ich möchte alles ziemlich perfekt machen. Auch bevor ich Mama werden wollte, wollte ich noch etwas schaffen im Studium und als Fernsehkommentatorin. Da will ich auch gut sein und intelligente Fragen stellen. Auch vor der Kamera ist man Druck ausgesetzt, da hat man Kritiker, und mit Kritik umzugehen ist noch etwas, was ich aus dem Sport gelernt habe.

Welt am Sonntag: Gibt es schon ein Comebacktermin bei der ARD nach Ihrer Babypause?
Kati Wilhelm: Ich bin ab Oberhof wieder dabei. Ich habe vergangenen Winter viel Spaß gehabt und ein Superteam. Es ist eine große Chance, weil ich auch später gerne in die Richtung gehen würde. Ist man zu lange weg, wird man auch schnell vergessen.

Welt am Sonntag: Und Lotta wird dann ein Wiegenplatz im Ü-Wagen reserviert?
Kati Wilhelm: Oma muss da mithelfen. In Oberhof können wir uns erst mal rantasten, da sind wir ja fast zu Hause. Ich stille und gebe Lotta die Flasche, auch da versuche ich einen gesunden Mittelweg zu finden und sie auf die Zeit vorzubereiten, wenn ich wieder unterwegs bin.

Welt am Sonntag: Magdalena Neuner hat ihr Karriereende zum Saisonende angekündigt. Dann ist sie 25. Können Sie die Entscheidung nachvollziehen?
Kati Wilhelm: Sie war sehr früh in der Weltspitze und hat seit sechs Jahren diese intensive Zeit erlebt. Auch ich bin zurückgetreten, weil ich alles erreicht hatte. Sie kann das schon mit 24 sagen. Für mich war immer entscheidend: Habe ich noch Motivation? Habe ich noch eine Aufgabe, die ich abarbeiten kann? Ich wollte jeden Abend wissen, ob ich mich verbessert habe. Für Lena ist es schwierig, neue Herausforderungen im Biathlon zu suchen. Die braucht man aber, um die langen Trainingsphasen im Sommer durchzustehen.

Welt am Sonntag: Neuner sagt, sie fühle sich auch deshalb manchmal ausgelaugt, weil sie als Biathletin oft nichts anderes tue, als durch den Wald zu laufen. Abends könne Sie nichts Bleibendes in den Händen halten. Empfanden Sie manchmal ähnlich?
Kati Wilhelm: Nein, dafür hatte ich noch zu viele Reserven bei mir ausgemacht. Ich wollte besonders während der letzten zwei Jahre meinen Laufstil verändern, an der Schießtechnik arbeiten. Da konnte ich abends reflektieren, was ich erreicht habe. Ich fand das angenehm. Bei Lena ist das schwierig. Wenn ich die Laufbeste bin, was soll ich da noch verändern? Und die beste deutsche Liegendschützin ist sie inzwischen auch geworden. Da hat sie sich sehr gut entwickelt. Sie schießt auf einem konstant hohen Niveau. Wenn alles klappt, sollte man nichts mehr ändern, weil Veränderungen dann auch Verschlechterungen nach sich ziehen können. Veränderungen aber bringen neue Anreize und neue Motivation. Deswegen hat sich Lena dieses Jahr auch ein bisschen abseits der Mannschaft vorbereitet, diese Abwechslung hat sie wahrscheinlich gebraucht.

Welt am Sonntag: Magdalena Neuner sehnt sich nach Normalität. Sehnen Sie sich manchmal nach dem Rampenlicht zurück?
Kati Wilhelm: Ich bin gespannt, wie es ihr ergeht. Aus meiner Erfahrung weiß ich, wie schön es ist, dem Stress zu entfliehen und in den Tag hineinzuleben. Aber nach einiger Zeit habe ich wieder eine feste Struktur gebraucht. Es tat mir gut, wieder morgens früh aufzustehen und Termine zu haben. Auch deswegen habe ich mich auf die Geburt von Lotta gefreut - weil ich jetzt gefordert bin und strukturiert bin.

Welt am Sonntag: Magdalena Neuner sagte in dieser Woche in Hochfilzen auch, sie möchte von ihren Fans Ideen bekommen, wie sie ihre Zukunft gestalten soll. Haben Sie eine Idee, was sie tun könnte?
Kati Wilhelm: Ganz ohne Vorstellungen wird sie nicht sein. Sie möchte der Öffentlichkeit entfliehen und ihr neues Leben genießen. Ihre neuen Aufgaben wird sie sicher in Wallgau suchen, denn sie hängt sehr an ihrem Zuhause und ihrer Familie.

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