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    01.03.2017

    PRESSE: Biathlon kämpft mit Generalverurteilung, kein sauberer Sport zu sein

    Mit drei Olympiasiegen und fünf Weltmeistertiteln ist Kati Wilhelm (40) eine der erfolgreichsten Biathletinnen. Seit ihrem Karriereende verfolgt sie das Geschehen in der Loipe und am Schießstand noch als Expertin bei den Fernsehübertragungen der ARD. Ostthüringer Zeitung sprach mit der gebürtigen Schmalkalderin, die auch Botschafterin des Kinderhospizes in Tambach-Dietharz ist, über die aktuelle Lage im Biathlonsport. 

    Nach der überragenden Leistung von Laura Dahlmeier bei der WM: Was können wir von ihr noch erwarten?
    Es sieht so aus, als ob wir in den nächsten Jahren auf jeden Fall mit ihr rechnen dürfen. Sie ist bei jedem Rennen so cool und bringt viel mit. Sie hat keine Wackeldisziplin, ist läuferisch oft die Beste und am Schießstand wahnsinnig abgeklärt. Sie ist vielleicht keine Schnellschützin, aber das muss sie auch nicht sein, denn sie schießt solide auf sehr hohem Niveau.

    Beim Weltcup in Oberhof hatte sie ja pausiert, weil sie immer wieder Infekte plagten.
    Ja, sie kann ihren Körper sehr gut einschätzen und wusste bisher immer ganz genau, wann sie eine Pause brauchte und wie viel sie sich zumuten kann. Außerdem verkraftet sie das öffentliche Interesse gut und weiß, wo sie mal Abstriche machen muss.

    Bei der WM glänzte nicht nur Laura Dahlmeier. Benedikt Doll holte im Sprint und Simon Schempp im Massenstart Gold. Hat Sie das überrascht?
    Es war eher überraschend, dass Martin Fourcade nicht so dominierend war. Und wenn Fourcade die Möglichkeit gab, dass andere gewinnen, waren die Deutschen zuletzt nicht unbedingt die Nutznießer. Dieses Mal hat das aber geklappt. Benedikt Doll hat am Schießstand das gebracht, was man bringen muss, wenn man eine Medaille gewinnen will und Simon Schempp hat endlich in einem WM-Einzelrennen gezeigt, was er kann.

    Bei den deutschen Männern gibt es ja momentan nicht so einen Überflieger wie Laura Dahlmeier. Woran liegt das?
    Bei den Männern ist das extrem schwierig. Fourcade ist praktisch so wie Laura bei den Frauen - nur schon ein paar Jahre länger. Da muss man die wenigen Möglichkeiten nutzen, die er einem bietet. Bei den Männern ist die Leistungsdichte noch größer und da ist es umso schöner, dass bei der WM zwei Einzelmedaillen abgefallen sind.

    Fourcade macht nicht nur mit seiner Leistung Schlagzeilen, sondern auch mit seinen Aussagen beim Thema Doping. Wie stehen Sie dazu?
    Er kämpft für einen sauberen Sport. Er will sich durch Verdächtigungen, Vermutungen und teilweise auch Fakten darüber, dass es Manipulationen gab in Sotschi, seinen Sport nicht kaputt machen lassen. Das finde ich völlig in Ordnung und ich finde es gut, dass er es so eindeutig und direkt kommuniziert. Denn es gibt immer gleich die Generalverurteilung, Biathlon sei sowieso kein sauberer Sport. Und wenn die Russen dopen und Fourcade noch schneller ist, kommen auch gleich die Fragen.

    Dafür, dass Fourcade bei der Siegerehrung der Mixed-Staffel das Podest verließ, gab es Kritik. Wie sehen Sie das?
    Die Russen haben ihm nicht zu seinem zweiten Platz gratuliert. Deshalb hat er so reagiert. Klar kannst du den Russen nicht verbieten, bei der WM zu laufen oder Irina Starych und Alexander Loginow aufzustellen, denn ihre Dopingsperren sind abgelaufen. Aber es gibt eben die Vorgeschichte und eigene Erfahrungen, die auch ich gemacht habe, die skeptisch machen.

    Welche Erfahrungen sind das?
    Es gab Rückkehrer, die versucht haben, uns zu vermitteln, dass sie nur Opfer waren. Ein paar Jahre später waren sie wieder gedopt. Und das ist das, was Fourcade im Hinterkopf hat. Aber da sind viel mehr die Anti-Doping-Gesetze gefragt. Epo-Doping sollte man auch anders beurteilen als Doping mit etwa verunreinigten Nahrungsergänzungsmitteln. Epo kriegt man nicht in seinen Körper, ohne dass man es weiß.

    Also teilen Sie die Kritik an seinem Verhalten nicht?
    Ich finde nicht, dass er sich unfair oder unsportlich verhalten hat. Im Nachhinein hat er eingesehen, dass es vielleicht so rüber gekommen sein könnte. Er hat sich entschuldigt und war vielleicht etwas impulsiv, aber ich finde das nicht verkehrt. Er versucht durch sein Verhalten, vor allem den Weltverband unter Druck zu setzen, um Entscheidungen im Umgang mit dem russischen Verband voranzutreiben.

    Sie sind Thüringerin. Woran liegt es, dass aktuell nur wenige Sportler aus dem Freistaat in der Elite mitfahren?
    Erst einmal braucht es eine breite Basis im Nachwuchs, und Biathlon ist kein günstiger Sport. Die Vereine brauchen Waffen und Munition, das kostet. Zu meiner Zeit wurden wir in der DDR noch viel vom Staat unterstützt und es war einfacher, Kinder für den Sport zu begeistern. Nach der Wende ist das schwieriger geworden und eingeschlafen.

    Wird es künftig wieder mehr Biathleten aus Thüringen geben?
    Bei der Junioren-Weltmeisterschaft sind wieder einige Thüringer Athleten dabei. Da gab es schon schlechtere Jahre. Wir sind auf einem guten Weg. Aber es wird immer finanzstärkere Vereine geben, in Bayern oder Baden-Württemberg, die einfach mehr leisten können.

    Also liegt es an den Strukturen?
    Ich bin zu wenig in der Nachwuchsarbeit tätig, aber ich sehe es in den Vereinen: Es gibt zu wenige Trainer, die die ganz Kleinen betreuen. Ich sehe das bei meinem Heimatverein Zella-Mehlis, ich sehe es in Steinbach-Hallenberg, wo ich her komme.

    Fährt Ihre Tochter schon Ski?
    Sie ist zwar noch im Kindergarten, aber geht schon in die Kindertrainingsgruppe. Dort ist ein Trainer, der ist für alles zuständig, er trainiert auch die Größeren. Es gibt zu wenige Trainer, weil die Finanzierung schwierig ist. Dann sind die Trainingsgruppen zu groß oder Einheiten fallen aus, weil die Trainer zu stark eingespannt sind. Und so verlieren die Kinder vielleicht die Lust.

    Wie wichtig ist Oberhof als Weltcup-Austragungsort?
    Oberhof ohne Biathlon und Biathlon ohne Oberhof funktioniert nicht. Für mich war dort immer der schönste Weltcup, was die Stimmung und die Kulisse angeht. Dort gibt es ein ganz besonderes, weil viel fachkundigeres Publikum als an vielen anderen Orten. Klar, hat man ein paar Jahre verschlafen und darauf ausgeruht, was man hatte. Aber ich glaube, dass sie in Oberhof erkannt haben, dass sie etwas tun müssen, weil andere Weltcup-Orte aufgeholt haben.

    Wie war es in diesem Jahr?
    Dieses Jahr hat es gut funktioniert. Klar, hat der Winter auch gut gepasst, aber sie hatten auch vorgesorgt. Wenn sie aus Sportler-, Betreuer- und Zuschauersicht ein gutes Gesamtpaket schnüren und ihr Konzept stetig überarbeiten, wird es auch weiterhin einen Weltcup in Oberhof geben, da bin ich sicher.

    Quelle: Ostthüringer Zeitung - Johanna Braun / 01.03.17