Sie sind hier: 
  • WM OSLO: "Dem Druck muss man standhalten"
  • Archiv

    01.03.2016

    WM OSLO: "Dem Druck muss man standhalten"

    DONAUKURIER – Ab morgen kämpfen die weltbesten Biathleten am legendären Holmenkollen in der norwegischen Hauptstadt Oslo um WM-Medaillen. Biathlon-Legende Kati Wilhelm setzt vor allem auf Laura Dahlmeier und Simon Schempp.

    Frau Wilhelm, bei der Biathlon-WM im vergangenen Jahr in Kontiolahti holte die deutsche Mannschaft dreimal Gold. Wird die WM in Oslo erneut erfolgreich?
    Kati Wilhelm: Die Voraussetzungen dafür sind auf jeden Fall da. Bestimmte Sachen kann man halt nicht oder nur schwer beeinflussen, wenn beispielsweise jemand krank wird. Pech hat man auch immer mal. Aber nach den Ergebnissen der bisherigen Weltcups sieht es wirklich gut aus, vermeintlich besser als letztes Jahr. Damals hatten viele noch nicht viel erwartet, vielleicht die Athleten selbst von sich nicht. Man muss abwarten, wie sie damit umgehen, dass sie dieses Jahr als Medaillenkandidaten zur WM fahren.
     
    Im vergangenen Jahr traten gerade die Frauen ohne große Erwartungen bei der WM an. In diesem Jahr werden bereits Medaillen erwartet. Trauen Sie ihnen zu, dass sie damit umgehen können?
    Wilhelm: Ja, man hat ja auch gesehen, dass nach den ersten Erfolgen in dieser Saison nicht plötzlich Angst kam oder sich Fehler eingeschlichen haben. Sie haben mit der gleichen professionellen Einstellung weitergemacht. Wenn man in der Weltspitze läuft, muss man so einem Druck standhalten. Aber man fährt ja mit diesem Druck dorthin, weil man vorher gut war. Vielleicht muss man in dieser Richtung damit umgehen - mit der Gewissheit, dass man bis dahin alles richtig gemacht hat. Und es soll ja nicht ein einziger Athlet die Kohlen aus dem Feuer holen. Das sind ein paar mehrere, dann ist das auch einfacher zu ertragen.
     
    Wer hat die größten Medaillenchancen im deutschen Team?
    Wilhelm: Simon Schempp. Er war im letzten Jahr bei der WM am meisten zu bemitleiden. Mit der tollen Staffelleistung hatte er natürlich noch einmal das Beste draus gemacht. Aber ich wünsche ihm, dass er dieses Jahr mal das zeigt, was er uns schon im Weltcup gezeigt hat. Dann ist er derjenige, der Top-Favorit Martin Fourcade am ehesten gefähr-lich werden und dessen Dominanz etwas einschränken kann.
     
    Auf wen setzen Sie bei den Frauen?
    Wilhelm: Laura Dahlmeier ist sehr abgeklärt, schon sehr reif und sehr souverän. Man hat das Gefühl, sie hat zu jeder Zeit des Rennens alles im Griff und weiß auch zu reagieren. Das ist sehr stark.
     
    Wird Miriam Gössner wieder zu alter Stärke finden?
    Wilhelm: Für Miri wird es erst einmal sehr schwer werden, überhaupt einen Startplatz zu bekommen. Die deutsche Mannschaft darf ja in jedem Rennen nur vier Frauen an den Start bringen. Meine Vermutung ist, dass eher Laura und die beiden Franzis (Franziska Preuß und Franziska Hildebrand, d. Red.) im Sprint und in der Verfolgung gesetzt sind. Auch Maren Hammerschmid ist eine große Kandidatin mit ihren zwei zweiten Plätzen in den Weltcups. Vanessa Hinz ist außerdem eine starke Staffelläuferin. Also es sind mit Miri drei Biathletinnen, die sich um diesen einen Platz streiten.
     
    Ist es ein mentales Problem, das sie blockiert, oder liegt es am Handwerklichen?
    Wilhelm: Das ist schwer zu sagen. Schießen ist so eine Sache. Es gibt ein paar Dinge, die man selbst mit ganz viel Arbeit und Akribie nicht ausmerzen kann. Ich finde aber, dass es schon besser geworden ist. Gerade in Übersee hatte ich zuletzt den Eindruck, dass sie beim Liegendschießen ein bisschen stabiler aussah. Sie ist also auf dem richtigen Weg, aber es reicht halt noch nicht für eine konstant gute Leistung. Das ist echt schade, denn man sieht ja auch, dass sie will. Ich ziehe den Hut für die Arbeit, die sie da reinsteckt, und für die Motivation, nach wie vor dranzubleiben. Ich würde es ihr wünschen, dass sie noch mal dafür belohnt wird. Sie hat es ja schon mal gezeigt, dass sie es kann.
     
    Kennen Sie das Gefühl?
    Wilhelm: Ich hatte auch im Liegendschießen immer ein bisschen Probleme. Ich habe nie gewusst, wie ein guter Anschlag aussieht, weil ich von Anfang an Probleme hatte. Wie will man dann dem Trainer sagen, was nicht passt? Das ist schwierig. Wenn ich schon mal richtig gut war und dann einen Fehler habe, dann kann ich besser erklären, wo mein Problem ist. Deswegen kann ich das ganz gut verstehen. Aber bei ihr ist es schon extrem und natürlich auch sehr schade.
     
    Ein weiteres Sorgenkind im deutschen Team ist Arnd Peiffer nach seinem Sturz in Presque Isle. Wird er rechtzeitig fit?
    Wilhelm: Er war ja alles ein bisschen gestaucht, deshalb muss man abwarten, wie gelenkig er wieder ist. Auch die Muskulatur macht zu, wenn so etwas passiert, deshalb muss sehr viel Physiotherapiearbeit geleistet werden. Vor allem für das Schießen ist das wichtig. Wenn man beim Schießen eine bestimmte Position hat und dabei ein Muskel zwickt, dann verkrampft man. Wenn es Einschränkungen im Genick oder Schulterbereich gibt, kann man nicht mehr seinen gewohnten Anschlag einnehmen, das ist unangenehm. Aber gerade in der Wettkampfsituation ist das auch schnell ausgeblendet, weil man da so mit Adrenalin voll ist, dass man das gar nicht merkt.
     
    Wer zählt international zu den größten Favoriten?
    Wilhelm: Bei den Frauen hat Gabriela Soukalova die Saison bisher recht souverän bewältigt, sie war fast immer unter den ersten Drei zu finden. Außerdem Dorothea Wierer und die Französinnen, allen voran Marie Dorin-Habert. Ich bin gespannt, was die Russinnen zeigen werden, weil es bei denen bisher eher durchwachsen lief. Die Norwegerinnen haben sich noch ein bisschen zurückgehalten, das wollen sie sicherlich bei der WM ändern. Tiril Eckhoff ist eine gute Athletin, die aber dieses Jahr bisher einfach zu viele Fehler geschossen hat. Aber wenn sie mal trifft, ist sie sicherlich fürs Podium gut.
     
    Kommt bei den Männern überhaupt jemand an Fourcade vorbei?
    Wilhelm: Die meisten Chancen haben noch die Norweger. Die Bö-Brüder haben in Übersee gezeigt, wo es hingehen sollte zur WM. Sie sind höchstmotiviert. Eine Heim-WM ist natürlich auch nicht einfach, aber sie sind ja schon erfahren. Ich denke, dass sie damit umgehen können. Ole Einar Björndalen habe ich jetzt nicht als Medaillenfavorit auf der Liste, aber gerade beim Ole sollte man nie nie sagen. Und natürlich die Russen mit Anton Schipulin. Aber auch die waren dieses Jahr schon sehr wechselhaft. Und jeder hat sich natürlich anders vorbereitet. Einige waren in Übersee, andere nicht. Auch da bin ich gespannt, wer das beste Rezept hatte.
     
    Der Holmenkollen ist bekannt als das Mekka des nordischen Skisports. Wird es in Oslo ein besondere Stimmung?
    Wilhelm: Es hat schon einen besonderen Reiz: Die Garde des Königs marschiert auf, der König sitzt in seiner Loge - alleine dadurch ist es schon etwas Besonderes. Von den Zuschauern her haben es die Langläufer wahrscheinlich noch besser als die Biathleten. In Norwegen hat Langlauf einfach noch ein höheres Standing. Aber ich bin gespannt, wie es zur WM wird. Ich hoffe natürlich auf gutes Wetter und dass dann viele Fans hochpilgern. Für die Norweger ist das eine Möglichkeit, mit der Familie in der Natur was zu erleben. Sie setzen sich nicht unbedingt auf die Tribünen, sondern an die Hänge, machen Camping und feuern nebenbei die Athleten an. Das ist etwas speziell, aber auch sehr schön. Deswegen war ich da immer sehr gerne

    Quelle: Donaukurier vom 1. März 2016