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    02.02.2010

    Vancouver 2010 - "Dabei sein ist nicht alles"

    EUROSPORT - Olympia-Gold und die Kristallkugel für den Gesamtweltcupsieg hat Kati Wilhelm bereits in ihrem Trophäenschrank. Trotzdem reist sie nicht ohne Ambitionen nach Vancouver. Im Interview der Woche spricht die 33-Jährige auch über ihre Zukunftsplanung und die Zusammenarbeit mit ihrem Freund.

    EUROSPORT: Seit zehn Jahren sind Sie im Biathlon-Weltcup dabei, haben vorher Langlauf gemacht und arbeiten noch immer stark an Ihrer Technik. Brauchen Sie das als Motivation?
    KATI WILHELM: Ich brauche das, um alles aus mir rausholen zu können. Der Sport entwickelt sich von Jahr zu Jahr. Es kommen immer neue, junge Athleten, die uns zeigen, wie es geht, auch was die Ski betrifft. Man muss immer in der Lage sein zu reagieren. Außerdem ist es gut, wenn man im Training nicht täglich die gleiche Routine hat. Ich mache das jetzt schon eine ganze Weile, deshalb muss ich immer neue Punkte finden, auf die ich mich fokussieren kann. Dazu gehört auch das Techniktraining.

    EUROSPORT: Haben Sie in der Vorbereitung an bestimmten Dingen vermehrt gearbeitet?
    WILHELM: Ich habe da angefangen, wo ich im letzten Jahr aufgehört habe. Wir haben versucht, das Training so aufzubauen, dass es auch Spaß macht. Wichtig war, dass wir auf dem Stand der vergangenen Saison aufbauen konnten. Ich wollte keine großen Veränderungen, denn das wäre in einer Olympia-Saison zu gefährlich.

    EUROSPORT: Sie sagen es, es ist Olympia-Saison. Sie haben bereits olympisches Gold gewonnen, dazu den Gesamtweltcup. Wo setzen Sie Ihre Prioritäten?
    WILHELM: Nicht anders als in den vergangenen Jahren. Ich kann vielleicht etwas lockerer rangehen, weil ich mir sage: Ich habe bereits olympische Goldmedaillen und den Gesamtweltcup gewonnen. Aber ich attackiere in diesem Jahr wie in den anderen zuvor auch. Der Fokus liegt natürlich auf den Olympischen Spielen, da will ich in Topform sein. Aber wenn ich ehrlich bin, will ich vorher oder hinterher nicht unbedingt schlechter sein. Und wenn ich in der Lage bin, versuche ich natürlich um den Sieg im Gesamtweltcup mitzulaufen.

    EUROSPORT: Es gibt in jeder Saison einen Höhepunkt - ob nun WM oder Olympia. Was macht die Olympischen Spiele so besonders?
    WILHELM: Gerade für uns Biathleten, die die ganze Zeit alleine reisen, ist es mal schön andere Sportarten zu sehen. Vor langer Zeit gab es vielleicht noch diesen olympischen Geist, ganz nach dem Motto "Dabei sein, ist alles". Sicher ist jeder stolz über seine Teilnahme, aber man will natürlich das Beste erreichen. Wenn es bei einer WM mal nicht klappt, dann kann man es bei der nächsten versuchen. Aber bei den Olympischen Spielen muss man immer vier Jahre warten.

    EUROSPORT: Blicken wir eben jene vier Jahre zurück. Was waren für Sie die schönsten Momente in Turin?
    WILHELM: Turin war für uns alle eine ganz besondere Erfahrung, das vergisst man nicht so schnell. Vor allem, weil ich die Ehre hatte, die deutsche Fahne zu tragen. Darauf war und bin ich immer noch sehr stolz. Für uns ist es zu Beginn nicht besonders gut gelaufen. Umso schöner, dass ich dann die Verfolgung gewinnen konnte. So konnte ich allen Kritikern beweisen "Schaut her, ich kann es". Es war schon ein besonderes Gefühl, bei so einem Rennen mit der Flagge in der Hand auf der Zielgeraden zu laufen.

    EUROSPORT: Sie haben schon alles erreicht, was man erreichen kann. Werden Sie die Spiele, die ganze Atmosphäre dieses Mal mehr genießen können?
    WILHELM: Momentan würde ich sagen ja. Normalerweise hat man bei solchen Veranstaltungen nie Zeit dazu, das habe ich schon bei den letzten Weltmeisterschaften gemerkt. Man versucht bei den Wettbewerben seine beste Leistung zu bringen, dafür muss man konzentriert und gut vorbereitet sein. Ich versuche, so viel es geht mitzunehmen, damit ich im Nachhinein nicht sagen muss: "Was habe ich außer dem Biathlon-Stadion denn gesehen?" Das soll nicht passieren.

    EUROSPORT: Was passiert nach dem Biathlon? Haben Sie schon über Zukunftspläne nachgedacht?
    WILHELM: Bis jetzt habe ich noch keinen detaillierten Plan. Zu allererst will ich mein Studium beenden, da ich das während meiner aktiven Zeit als Athletin nicht mehr schaffen werde. Danach nehme ich mir genügend Zeit, um mir klar zu werden, was ich machen will. Mein Studium - International Management - bietet mir viele Möglichkeiten. Und irgendwann möchte ich dann mit der Familienplanung anfangen...

    EUROSPORT: Sie sind eine sehr offene, ausdrucksstarke Person und in letzter Zeit oft in den deutschen Medien aufgetaucht. Würde Ihnen diese Art von Arbeit auch zusagen?
    WILHELM: Solche Auftritte machen mir Spaß, und so kann ich herausfinden, ob mir etwas liegt. Natürlich war es nicht perfekt, aber man lernt dazu. Sollte seitens des Fernsehens Interesse bestehen, würde ich dem Ganzen eine Chance geben, dann sehen wir weiter. Aber ich sehe meine Zukunft nicht als Expertin.

    EUROSPORT: Die roten Haare sind Ihr Markenzeichen. Wie sind Sie dazu gekommen?
    WILHELM: Ich bin jemand, der Veränderungen mag. Als ich die Sportart gewechselt habe, habe ich mir gedacht: Mein Kopf sieht irgendwie langweilig aus, deshalb habe ich mir eine rote Färbung gekauft. Kurz darauf ging es dann nach Salt Lake City und da habe ich mir passend zu den Haaren eine rote Mütze aufgesetzt. Und das ist dann zu meinem Markenzeichen geworden. Ich finde, das Rot passt ganz gut zu meiner Persönlichkeit. Ich kann es mir anders gar nicht mehr vorstellen.

    EUROSPORT: Was sind neben dem Biathlon Ihre Lieblingsbeschäftigungen?
    WILHELM: Ich bin der totale Familienmensch. Ich verbringe gerne Zeit mit meinen Eltern, meiner Schwester und den Neffen. Ich liebe Kinder. Einmal habe ich meinen Neffen in die Schule begleitet, um mit den Kindern zu sprechen - das habe ich sehr genossen. Ansonsten gehe ich gerne shoppen, dabei kann ich gut entspannen. Im Sommer fahre ich dann an den Strand, um einfach mal nichts zu tun. Abends auszugehen ist nicht so mein Fall, Discotheken sagen mir nicht so zu.

    EUROSPORT: Ihr Freund arbeitet während des Weltcups auch im Biathlon. Macht es das Leben und das Reisen einfacher für Sie, wenn ein Teil Ihrer Familie dabei ist?
    WILHELM: Auf jeden Fall. Als wir noch nicht zusammen waren, bin ich jedes Mal, wenn ich zwei Tage frei hatte, nach Hause gefahren. Jetzt wo mein Freund immer bei mir ist, ist es für mich einfacher Mal zu sagen, ich fahre am Wochenende nicht nach Hause. Außerdem ist es schön, jemanden zum Reden und Trösten zu haben, denn es gibt ja immer mal Tage im Weltcup, wo es nicht so läuft, wie man es sich wünscht.

    EUROSPORT: Ihr Freund präpariert Ihre Ski, wie klappt die Zusammenarbeit?
    WILHELM: Es klappt wirklich gut. Er ist der Ruhigere von uns. Ich weiß noch, letztes Jahr in Khanty Mansiyk ging es um den Sieg im Gesamtweltcup und ich hatte einen sehr schlechten Ski. Im Ziel war er völlig unvorbereitet als ich meinte: "Das mit dem Ski heute hast du aber nicht Ernst gemeint, oder?" Er hat mich nur angeschaut und gefragt "War es wirklich so schlimm?" Ich wusste ja, dass er alles getan hat, um mir zu helfen. Zwar habe ich den Gesamtweltcup nicht gewonnen, aber das ist nicht nur der Fehler der Ski, ich hätte auch einfach ein fehlerfreies letztes Schießen machen können.

    Das Interview führte Adrienne Rohde / Eurosport