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    11.06.2007

    "Da ist man ein bisschen entsetzt..."

    Hamburger Abendblatt vom 7. Juni 2007

    ABENDBLATT: Frau Wilhelm, Dopingjäger Werner Franke führt Ski nordisch und Ihre Disziplin Biathlon auf seiner Liste der versautesten Sportarten direkt hinter dem Radsport. Zurecht?

    KATI WILHELM: Klar gab es wie im Langlauf auch bei uns Fälle, zuletzt mit den Österreichern oder der russischen Olympiasiegerin Olga Pylewa. Dass wir eine wahnsinnig versaute Sportart sind, glaube ich aber nicht. Ich bezweifle, dass überhaupt eine Disziplin von sich behaupten kann, hundertprozentig sauber zu sein.

    ABENDBLATT: Haben Sie noch das Gefühl, unter gleichen Bedingungen mit Ihren Konkurrentinnen auf die Loipe zu gehen?

    WILHELM: Ich denke, dass die Kontrollen gut sind und wir uns deshalb sicher fühlen können, gegen Gegner anzutreten, die nichts Verbotenes genommen haben. Ich sehe ja an unseren Leistungen, dass es mit legalen Mitteln möglich ist. Sonst würde ich den Sport auch nicht machen.

    ABENDBLATT: Wenn Sie ohne Zaubertrank auskommen, was ist dann das Erfolgsgeheimnis?

    WILHELM: Training und das beste Know-how hinter uns. Wir haben sicherlich die besten Bedingungen, die man sich vorstellen kann. Bei Gegnern, die durch Epo zehn, 20 Prozent mehr Leistung hätten, würden wir trotzdem wohl nicht mehr vorne mitlaufen. Aber wir bestimmen das Niveau und sind sauber.

    ABENDBLATT: Ihr Teamarzt Bernd Wohlfahrt hat gesagt, er würde die Hand für seine Athleten ins Feuer legen. Muss er mit Blick auf den Radsport nicht Angst haben, dass er sich verbrennt, weil einfach nichts mehr sicher ist?

    WILHELM: Bernd sagt das ja nicht ohne Grund. Im Radsport scheint es sehr systematisch und auch vom Team ausgehend gelaufen zu sein. Bei uns im Biathlon könnte es vielleicht passieren, dass sich jemand etwas verschafft, der den Anschluss nicht findet. Aber auch nicht in Deutschland, weil hier selbst die zweite, dritte Reihe regelmäßig kontrolliert wird.

    ABENDBLATT: Waren Sie von den Dopinggeständnissen im Radsport überrascht?

    WILHELM: Schon. Leute wie Erik Zabel und Bjarne Riis habe ich mir selbst im Fernsehen angeschaut. Da ist man ein bisschen entsetzt, was da gelaufen ist und wie großflächig das alles war.

    ABENDBLATT: Haben Sie als Spitzensportlerin tatsächlich geglaubt, dass solche Extremleistungen wie bei der Tour de France ohne Doping möglich sind?

    WILHELM: Es ist für Außenstehende sicherlich schwer nachzuvollziehen. Aber dadurch, dass alle da die Berge hochgefahren sind, habe ich doch daran geglaubt. Es geht ja einfach viel mit Training.

    ABENDBLATT: Sie selbst haben sich unter anderem mit dem Sporthilfe-Eid gegen Doping ausgesprochen. Haben Sie Verständnis dafür, dass Sie dennoch auf das Thema angesprochen werden?

    WILHELM: Nach den neuesten Enthüllungen habe ich dafür natürlich Verständnis. Ich bin selbst daran interessiert, dass aufgeklärt wird. Auf der anderen Seite wäre es mir lieber, wenn man sich damit nicht konfrontieren müsste. Aber totschweigen darf man es auch nicht, ganz klar.

    ABENDBLATT: Befürchten Sie selbst Nachteile, wenn der Sport dauerhaft unter Generalverdacht stehen sollte?

    WILHELM: Ich mache mir schon Gedanken, nicht nur um persönliche Nachteile. Viele Fans glauben jetzt sicher, dass es in anderen Ausdauersportarten genauso wie im Radsport läuft. Auswirkungen könnte es zudem auf Sponsoren und Medienpräsenz haben. Aber mehr als uns testen lassen, sagen, dass wir nichts zu verheimlichen haben und klar gegen Doping Stellung zu beziehen, können wir nicht tun.

    Quelle: Hamburger Abendblatt vom 7. Juni 2007