18.02.2016

JUBILÄUM: Kati Wilhelm – Noch immer auf der Überholspur

Stuttgarter Nachrichten – Sie strahlt noch immer, auch die mal pinkfarbenen, mal roten Haare stechen nach wie vor heraus. Doch statt in der Loipe gibt die ehemalige Biathletin Kati Wilhelm nun in anderen Bereichen Gas. Denn „nur Mama sein“, das wäre für die ehemalige Spitzenathletin zu wenig.

Ganz pünktlich schafft es Kati Wilhelm an diesem Morgen nicht. Söhnchen Jakob hat die Mama aufgehalten. Mutter, Expertin fürs Fernsehen, Referentin und Wirtin – die ehemalige Biathletin „ist ganz gut beschäftigt“. Wer mag ihr da ein paar Minuten Verspätung nicht verzeihen? Oder dass sie ein wichtiges Datum in ihrem Lebenfast verpasst hätte? An diesem Donnerstag vor zehn Jahren gewann Wilhelm Gold bei den Olympischen Winterspielen in Turin. „Zum Glück gibt es Leute, die mich an so etwas erinnern“, sagt die 39Jährige und muss lachen. Doch auch wenn sie den Tag nicht auf der Rechnung hatte, die Spiele 2006 hat sie nicht vergessen. Denn für Wilhelm waren sie etwas Besonderes. „Ich habe dort meine größten Erfolge gefeiert.“ Und das unter nicht ganz einfachen Bedingungen.

Wilhelm wurde in Turin zur Fahnenträgerin berufen. „Es war eine Ehre für mich. “Doch nachdem die große Favoritin im Einzel über 15 Kilometer und im Sprint leer ausgegangenen war, hagelte es Kritik. Zu viel Ablenkung, die falsche Wahl bei der Startgruppe, sogar von einer falschen Vorbereitung war die Rede. Auf Kati Wilhelm prasselte einiges ein. Bis zum Jagdrennen am 18. Februar 2006. In diesem „einmaligen Rennen“ nahm Wilhelm ihrer Konkurrenz so viel Zeit ab, dass sie auf der Schlussrunde kaum noch Gas geben musste. „Dann riss noch die Wolkendecke auf, und ein Betreuer rief: ‚Kati, jetzt scheint die Sonne nur für dich‘“, berichtet die ehemalige Erfolgsgarantin – insgesamt holte sie sieben olympische (dreima lGold, dreimal Silber, einmal Bronze) und 13 WM-Medaillen (fünfmal Gold, viermal Silber und viermal Bronze) – und mit der schwarzrotgoldenen Fahne lief sie ins Ziel. „Das waren besondere Momente“ sagt Wilhelm, „ich bin immer wieder erstaunt, dass es schon so lange her ist.“

Um genau zu sein, ist es bereits zehn Jahre her. Zehn Jahre, in denen sich viel verändert hat in Kati Wilhelms Leben. Zweifellsohne: Ihre roten Haare stechen einem immer noch ins Auge, doch statt selbst durch die Loipen zu pflügen, kommentiert sie für die ARD die Rennen ihrer Nachfolger. Sie hat zwei Kinder, versucht neben Vorträgen sowie Sponsorenterminen, Jugendlichen Lust auf Biathlon zu machen, und sie betreibt in ihrem Heimatort in Thüringen ein Lokal. „Ich habe nicht gedacht, dass das so viel Arbeit ist“, sagt Wilhelm. Doch eines ist trotz aller Veränderungen geblieben: Sie sucht die Herausforderung. Auf allen Gebieten.

Vor allem in ihrem Lokal Heimatlon muss die 39-Jährige anpacken. „Ich schaffe es schon, drei Teller mit Kuchen gleichzeitig zu servieren“, plaudert Wilhelm. Unfallfrei. „Aber ich gehe auch in die Küche zum Abwaschen“, sagt die Wirtin, und für den Schlussdienst meldet sie sich meist ebenfalls freiwillig. Wo Kati Wilhelm draufsteht, soll eben auch Kati Wilhelm drinstecken. Die ehemalige Biathletin ist die Werbefigur des kleinen Lokals – über die Stadtgrenzen hinaus. Allein von Kunden in SteinbachHallenberg – 5000 Einwohner – könnte das kleine Restaurant nicht überleben. „Wir brauchen auch die Leute aus den Nachbarorten“, sagt Wilhelm. Und Touristen. „Die können alle gerne wegen mir kommen. Das erste Mal. Danach sollen sie uns wieder besuchen, weil es ihnen gefallen und geschmeckt hat.“

Ohne Hilfe würde sie ihr Pensum wohl aber kaum schaffen, vor allem, weil auch ihr Partner Andreas Emslander als Cheftechniker der deutschen Biathleten fast den gesamten Winter unterwegs ist. „Meine Elternspringen oft ein“, sagt Wilhelm. Im Lokal und bei den Kindern.

Opa und Oma werden sie auch unterstützen, wenn Kati Wilhelm für die Biathlon-WM nach Oslo (3. bis 13. März) reist. Zumindest zum ersten Teil, den die ARD überträgt. Den Rest der Titelkämpfe wird sie dann von zu Hause verfolgen und die Daumen drücken. „Acht Medaillen sind bei der WM möglich“,sagt Wilhelm. Vor allem setzt die ehemaligeWeltklasseathletin auf Laura Dahlmeier und Franziska Hildebrand. „Das sind zwei super Sportlerinnen“, sagt Wilhelm:„Ich freue mich vor allem mit ‚Hildi‘. Ich hoffe, dass sie bei dieser WM endlich ihre Einzelmedaille holt.“ Und dann ist die Biathlon-Saison auch schon fast wieder vorbei.

Dann stehen Gespräche mit dem TV-Sender wegen einer Fortsetzung der Zusammenarbeit an. „Spaß macht es mir auf jeden Fall immer noch“, sagt Wilhelm und verabschiedet sich. Sie ist schon wieder auf dem Sprung. Fürs Heimatlon sucht sie eine Kellnerin. Eine potenzielle Kandidatin wartet schon. Kati Wilhelm ist eben noch immer auf der Überholspur. Wie vor zehn Jahren in Turin. „Die Tage sind lang, die Nächte kurz. Aber mir gefällt es so. Ich könnte es mir gar nicht anders vorstellen“, sagt Wilhelm und verschwindet zum Vorstellungsgespräch.

von Eva Hammel / Stuttgarter Nachrichten

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