25.11.2014

INTERVIEW: "Wäre schön, wenn Evi zurückkommt"

Im schwedischen Östersund starten die Biathleten Ende November in die neue Saison. Sportschau.de hat Ex-Biathletin und ARD-Expertin Kati Wilhelm um eine Einschätzung gebeten - und mit ihr über das Verletzungspech der deutschen Damen, den Dopingfall Sachenbacher-Stehle und die Chancen von "Belgier" Michael Rösch gesprochen.

Frau Wilhelm, bei Ihnen hat sich viel getan: Herzlichen Glückwunsch zum zweiten Kind und zur Eröffnung Ihres eigenen Lokals. Wie bekommen Sie das alles zusammen mit ihrer Tätigkeit als Biathlon-Expertin für die ARD unter einen Hut?
Kati Wilhelm: "Das geht natürlich nur, wenn man noch ein bisschen Hilfe hat. Meine Eltern sind immer da und können mich unterstützen, was die Kinderbetreuung angeht. Ansonsten macht es aber auch einfach Spaß. Ich brauche das, dass ich gefordert werde."

Gefordert sind in dieser Saison auch die deutschen Biathleten, vor allem die Damen, für die es in der vergangenen Saison nicht so rund lief. Leidet man da als frühere Sportlerin mit dem Team mit?
"Ja klar. Gerade Olympia bei den Frauen war natürlich enttäuschend. Ich hatte einfach größere Erwartungen. Die Weltcup-Ergebnisse hatten ja durchaus hoffnungsvoll gestimmt. Da war es schon ärgerlich, dass bei Olympia nichts gelaufen ist. Aber bei den Männern gab es schon gute Ergebnisse. Die zwei Medaillen bei Olympia waren das, was zu erwarten war. Mit der großen Konkurrenz ist es nicht einfach, etwas zu holen. Ich denke, dass sich die Männer gut geschlagen haben."

Warum lief es Ihrer Meinung nach bei den Herren in Sotschi passabel, bei den Damen dagegen nicht?
"Nun, die Männer sind ja schon länger dabei, die gesamte Mannschaft ist erfahrener. Bei den Frauen gab es im letzten Jahr nur Andrea Henkel, die Erfahrung hatte, und die war dann ausgerechnet krank. Und: Olympia ist einfach noch einmal etwas anderes, da macht man sich schon in der Vorbereitung verrückt. Sicher gab es auch mal die ein oder andere Entscheidung, die nicht ganz so glücklich war, zum Beispiel: Warum läuft die Franzi Preuß noch das Einzel? So etwas ist auch für die Psyche eines jungen Sportlers nicht gut. Aber da waren die Trainer sicher auch unter Druck und haben vielleicht den ein oder anderen Fehler gemacht."

Aus Fehlern lernt man ja bekanntlich – was hat sich seitdem im deutschen Team getan?
"In der Damen-Mannschaft hat es ja ein paar Umstrukturierungen gegeben, neu mit dabei ist Tobias Reiter (Nachfolger von Ricco Groß als Trainer, Anm. d. Red.). Und ich denke mal, dass er, auch weil er noch sehr jung ist, einen guten Draht zu den jungen Sportlerinnen hat. Zudem gehe ich davon aus, dass in Bezug auf die vergangene Saison und auf Sotschi Einiges analysiert wurde. Aber man darf nicht vergessen: Die jungen Sportler sind einfach noch in der Entwicklung, da kann man das nie so genau voraussagen. Wichtig wäre vielleicht, dass in der unmittelbaren Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft individueller trainiert wird als in den letzten Jahren."

Welche Hoffnungen setzen Sie in Miriam Gössner, die nach einem schweren Mountainbike-Unfall im Mai 2013 wieder fleißig trainiert und sich nach eigener Aussage riesig darauf freut, wieder Rennen laufen zu können?
"Ich denke, es wird nicht leicht für sie, weil sie im letzten Jahr einen wirklich herben Rückschlag erlitten hat. Sie braucht einfach eine gute Schießleistung und die hat im letzten Jahr halt nicht gepasst. Sicherlich wird sie auf den ersten internationalen Vergleich hinfiebern. Ich glaube aber, man muss ihr auch ein bisschen Zeit geben. Es ist sicher schwierig, so eine schwere Verletzung auszublenden. Da wird vielleicht auch immer noch ein leichter Schmerz da sein, das stelle ich mir nicht einfach vor. Gerade, wenn man im Schießen Probleme hat und aufgrund einer zurückliegenden Verletzung vielleicht noch Kompromisse bei der Schießstellung eingehen muss."

Laura Dahlmeier ist ja gerade auch noch nicht so fit. Sie zog sich bei einem Sturz beim Klettern eine schwere Fußverletzung zu, kann noch nicht optimal trainieren …
"Im Sommer, als es passiert ist, wusste ich, dass sie nicht trainiert. Dass es sich jetzt so lange hinzieht, damit hat keiner gerechnet. Am Anfang war der Bänderriss das Problem, jetzt behindert sie nach wie vor die Knochenprellung. Mal sehen, ob sie bis zum ersten Weltcup fit wird. Wichtig ist, dass sie sich die Zeit dafür nimmt, es ist ja noch früh in der Saison. Laura ist aber für mich der Typ, der wegsteckt, der sich die Zeit gibt. Und selbst wenn sie erst im neuen Jahr einsteigt, ist es auch noch nicht zu spät für die WM. Aber so etwas ist natürlich immer schade.

Theoretisch könnte ja auch noch Evi Sachenbacher-Stehle dazustoßen – der Internationale Sportgerichtshof CAS hat ihre Sperre drastisch verkürzt. Was sagen Sie dazu?
"Ich habe schon damit gerechnet, dass sie eine deutlich geringere Strafe bekommt. Das vorherige Strafmaß von zwei Jahren konnte ich gar nicht verstehen, man kann ihren Fall nicht mit Epo-Doping gleichsetzen. Dass sie bestraft werden musste, ist klar, aber die Entstehungsgeschichte sollte man bei der Bewertung schon mit einbeziehen. Deshalb hat es mich gefreut, dass sie ihr Recht bekommen hat. Nun muss man abwarten, ob sie wirklich weitermacht oder nicht."

Was glauben Sie persönlich: Greift Evi Sachenbacher-Stehle nochmal an oder verkündet sie ihr Karriereende?
"Es wäre schön, wenn sie nochmal zurückkommt und zeigt: 'An meiner Leistung hat sich nichts geändert, ich kann das auch ohne.' Aber es ist ja kein Spaziergang dahin. Sie ist ja nicht diejenige, die mit Konstanz die Podiumsläuferin war. Nach einem Jahr wird das auch nicht leichter. Außerdem ist sie nicht mehr die Jüngste und konnte sich zudem nicht darauf verlassen, dass die Strafe milder ausfällt. Möglicherweise hat sie dadurch nicht ganz so hochmotiviert trainiert – immerhin hatte sie aufgrund dieser Sperre vielleicht auch gar nicht die Chance, die Sportstätten zu nutzen. Da sind einem dann schon die Hände gebunden. Ich denke, sie wird es sich reiflich überlegen. Ich wüsste auch nicht, wie man sich da entscheiden würde. Im Prinzip ist sie ja fast rehabilitiert, vielleicht ist das ja Sieg genug für sie."

Ein etwas anderes Comeback könnte ja auch Michael Rösch feiern, als Starter für Belgien …
"Ich wünsche es ihm, weil er Potenzial hatte und es schade war, dass er das nicht mehr abrufen konnte. Und dann die zwei Jahre, wo komplett gar nichts ging - da muss man ihm schon Respekt zollen, dass er durchgehalten hat,. Nun weiß ich nicht, wie seine Bedingungen sind. Es ist natürlich auch eine finanzielle Frage, ob er zu den Weltcups fahren darf. Ich hoffe jedenfalls, dass es gut für ihn läuft und dass er den Winter so gestalten kann, wie er es sich vorstellt. Wenn er wieder mit vorne reinläuft, wäre es sehr schön."

Und was glauben Sie, wer bei den Deutschen möglicherweise in dieser Saison wieder mit vorne reinläuft?
"Bei den Männern möchte ich keinen richtig hervorheben, die haben eine sehr starke Mannschaft. Ich wünsche aber Andi Birnbacher, dass er wieder auf die Beine kommt. In der Vorbereitung hat er jedenfalls gute Leistungen gebracht. Aber da sind auch junge Biathleten wie ein Johannes Kühn, der sehr stark in der Vorbereitung war. Da ist Bewegung in der Mannschaft, da bieten sich Leute an. Und da sind dann natürlich Erik Lesser oder Arnd Peiffer, die schon länger im Weltcup dabei sind. Für Simon Schempp hoffe ich, dass er bei Einzelrennen sein Potenzial zeigen kann. Im vergangenen Jahr war er oft krank oder glücklos. Aber bei den Männern sind wirklich viele in der Lage, auch mal aufs Podium zu laufen. Bei denen ist vielleicht oft das Problem, dass sie sich das selbst gar nicht zutrauen."

Und bei den Damen?
"Da hat Franzi Hildebrand auch wieder einen Schritt nach vorne getan. Wenn sie in der Vorbereitung läuferisch noch was draufsetzen konnte, dann kann sie auch aufs Podium laufen. Das hätte ich früher noch nicht von ihr gedacht, die hat sich wirklich entwickelt. Und Franzi Preuß hat ja schon im letzten Jahr gezeigt, zu was sie in der Lage ist. Miriam Gössner wird meiner Meinung nach eher für die Überraschungen sorgen, weil sie am Schießstand nicht die Beständige ist. Und dann muss Laura Dahlmeier noch fit werden … Dann haben wir ja schon die Staffel zusammen." (lacht)

Ihr Tipp für den Weltcup-Auftakt im schwedischen Östersund?
Bei den Deutschen liegt der Fokus nicht so stark auf dem Saisonauftakt und deshalb ist meist noch nicht mit Spitzenergebnissen zu rechnen. Ein gutes Ergebnis wäre zwar schön, weil es Beruhigung bringt. Ich erwarte aber noch kein Zeichen für die komplette Saison. Es sind eher andere Mannschaften, die zum Saisonbeginn immer ganz gut sind. Die Ukraine ist irgendwie immer sehr fit am Anfang, auch die Franzosen ... gespannt bin ich auf die Russen, gerade mit dem neuen Trainer bei den Damen.

Frau Wilhelm, vielen Dank für das Gespräch. Geht es für Sie jetzt noch in Ihr Lokal?
Eigentlich habe ich schon Schichtbeginn! Wenn ich keine Termine habe, bin ich da fast jeden Tag.

Mit Kati Wilhelm sprach Julia Hartmann
Quelle sportschau.de

Stand: 25.11.2014, 16:11

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